Hauptinhalt

Projekt B2 - Polysemie und Metaphorik als Herausforderung für mentale Repräsentationen

PI und Ko-PI: Prof. Dr. C. Spieß und Prof. Dr. C. Kauschke

Forschungskontext

 Figuratives Sprechen, zu dem verschiedene Formen der Ironie sowie Metonymie- und Metapherngebrauch gehören, stellt Sprachteilhaber:innen aufgrund der grundsätzlichen Polysemie, seiner semantischen Vagheit und Ambivalenz sowie der kognitiven Voraussetzung, verschiedene Bereiche miteinander in Verbindung bringen zu können (Lakoff/Johnson 1980), vor Herausforderungen. Um metaphorische Phänomene erkennen und verstehen zu können, müssen einerseits bestimmte kognitive Fähigkeiten ausgebildet sein (u.a. Analogiewahrnehmung, d.h. Wahrnehmung von Ähnlichkeiten zwischen zwei Objekten, Verwenden bzw. Akzeptanz von Bezeichnungsalternativen für ein Referenzobjekt) sowie andererseits situativ-kontextuelle Faktoren mit einbezogen werden (Spieß 2016). Herausfordernd ist zudem, dass prinzipiell jedes sprachliche Phänomen metaphorisch verwendet werden kann. Erst der Kontext gibt Aufschluss darüber, ob ein Metapherngebrauch vorliegt. Der Erwerb metaphorischer Kompetenzen erscheint damit als ausgesprochen komplexes Unterfangen (vgl. Di Paola/Domaneschi/Pouscoulous 2020). Entgegen früheren Studien zum Erwerb metaphorischen Sprechens und Verstehens (vgl. u.a. Winner 1988, Augst 1978), gehen jüngere Untersuchungen davon aus, dass metaphorisches Sprechen und Verstehen prozessual und schon früh (im Alter von 3-4 Jahren bei Pouscoulous/Tomasello, di Paola/Domaneschi/Pouscoulous 2020) erworben wird. So zeigte sich, dass das Verstehen (und Anwenden) metaphorischer Sprachphänomene kein Problem darstellt, wenn das jeweilige Weltwissen und die sprachliche Kompetenz der Proband:innen berücksichtigt wird (Pouscoulous/Tomasello 2020). Indefrey/Voigt 2017 sprechen bei figurativem Sprachgebrauch in frühen Altersstufen von ‚pseudometaphorischem‘ Sprachgebrauch und grenzen diesen von späterem metaphorischem Sprachgebrauch ab. Unabhängig davon, ob man von metaphorischer oder pseudometaphorischer Kompetenz spricht, gelten das Welt- und Erfahrungswissen von Kindern sowie der situative Gesprächskontext als zentrale Faktoren, die für die Beschreibung metaphorischen Sprechens eine wichtige Rolle spielen und im Untersuchungsdesign einen Niederschlag finden sollten. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass Kinder, die sich in der Bildung von Analogien und dem Anwenden von Alternativbezeichnungen als kompetent erwiesen, Metaphern besser verstehen konnten (vgl. di Paola/Domaneschi/Pouscoulous 2020). Während für den englischsprachigen Raum einige wenige Untersuchungen für den Zusammenhang von Analogiewahrnehmung, Alternativbezeichnung und Metaphernverständnis (Pouscoulous 2014, Di Paola/Domaneschi/Pouscoulous 2020, Pouscoulous/Tomasello 2020) vorliegen, gibt es für den deutschsprachigen Raum bis auf Ausnahmen (vgl. hier Indefrey/Voigt 2017) kaum aktuelle Untersuchungen. Das Promotionsprojekt kann sich auf der Grundlage deutschsprachiger Gesprächs- und Korpusdaten und/oder experimentell erworbener deutschsprachiger Daten (u.a. Wahlverhaltensspiele, Zuordnungsaufgaben)

Mögliche Themenbereiche:

  • Wie entwickelt sich metaphorisches Verständnis? Welche Formen metaphorischen/figurativen Sprechens werden in welchem Alter (3-4 Jahre, 6-7 Jahre, 9-10 Jahre) in der deutschen Sprache realisiert, verstanden und mental repräsentiert?
  • Welche kognitiven Fähigkeiten stützen den Metaphernerwerb (Analogiewahrnehmung, Analogiebildung, Wahrnehmung von Alternativbezeichnungen, Verwenden von Alternativbezeichnungen)?
  • Welche Metaphernbereiche konzeptualisieren Kinder im Laufe des Spracherwerbs? Inwiefern zeigen sich sprachliche Muster, die auf mentale Repräsentationen schließen lassen?

Literatur

Augst, Gerhard (1978): Spracherwerb von sechs bis sechzehn. Linguistische, psychologische, soziologische Grundlagen, Düsseldorf: Schwann Verlag.

Di Paola/Domaneschi/Pouscoulous (2020): Metaphorical developing minds: The role of multiple factors in the development of metaphor comprehension. In: Journal of Pragmatics 156 (2020) 235e251. https://doi.org/10.1016/j.pragma.2019.08.008

Lakoff, George/Johnson, Mark (1980): Metaphors we live by. Chicago/London: UCP.

Pouscoulous, Nausicaa (2014): „The elevator’s buttocks“ Metaphorical abilities in children. In: Matthews, Danielle (ed.): Pragmatic Development in First Language Acquisition. John Benjamins, 239-259.

Pouscoulous, Nausicaa/Tomasello, Michael (2020): Early birds: Metaphor understanding in 3-year-olds. In: Journal of Pragmatics 156 (2020) 160e167. https://doi.org/10.1016/j.pragma.2019.05.021 

Spieß, Constanze (2016): Metapher als multimodales kognitives Funktionsprinzip. In: Klug, Nina-Maria/Stöckl, Hartmus (Hrsg.): Sprache im multimodalen Kontext. Berlin/Boston: de Gruyter, S. 75-98.

Voigt, Svetlana/Indefrey, Peter (2017): Metaphernerwerb: eine empirische Studie bei Kindern im Alter von sechs bis vierzehn Jahren. In: metaphorik.de Online unter: https://www.metaphorik.de/sites/www.metaphorik.de/files/journal-pdf/vogt-indefrey_metaphorik-27.pdf

Winner, Ellen (1988): The Points of words. Children’s understanding of metaphor and irony, Harvard: HUP.