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Projekt C3 - Variation und Wandel der morpho-syntaktischen Referenz

PI und Ko-PI: Prof. Dr. U. Dohmas und Prof. Dr. C. Spieß

Forschungskontext

Ziel des Projekts C3 ist es, Variation in der Form-Bedeutung-Beziehung morphosyntaktischer Markierungen in der Sprachverarbeitung zu untersuchen. Ein Beispiel für diese Form der Variation ist die Abweichung in der Referenz anaphorischer Possessivpronomen der 3. Person. Im Deutschen kongruiert das Possessivpronomen der 3. Person Singular im Prinzip mit dem Genus des Possessors: (der Bruder – sein Buch, die Schwester – ihr Buch). Jedoch finden sich immer wieder Belege, bei denen sich das Possessivpronomen sein auf Feminina bezieht (z.B. die Sache geht seinen Weg; Duden, 2016, S. 275), was dahingehend gedeutet werden kann, dass sein zugrundeliegend bezüglich Genus unterspezifiziert ist. Ergebnisse aus Korpusanalysen legen nahe, dass genus-insensitives sein in erste Linie bei Inanimata auftritt (Fleischer 2022). Neben der Animatheit spielen auch andere Faktoren eine Rolle (Binanzer et al. 2021), wie beispielsweise die Diskrepanz zwischen grammatischem und semantischem Geschlecht bei genderneutralen Ausdrücken (die Lehrkraft; Schütze, Dissertation), Geschlechter­stereotype (Molinario et al. 2016) oder das Begriffsfeld von Referenten im Lexikon (Köpcke & Zubin 2017).

In den Promotionen dieses Projekts soll die Variabilität in der Beziehung zwischen Form und Bedeutung in der Genusverarbeitung, aber auch in anderen Bereichen der Morphosyntax experimentell untersucht werden. Beispielsweise kann mit Hilfe von EEG-Studien die implizite Verarbeitung von Abweichungen der Genuskongruenz in Abhängigkeit von eindeutiger und neutraler Genderreferenz untersucht werden. Weitere Untersuchungsfelder können Einflüsse aus kontextuellen Einbettungen und individuellen Einstellungen von Untersuchungsteilnehmenden sein. Die Messung elektrophysio-logischer Daten ist eine zeitsensitive Methode, bei der die Latenz von Reaktionen auf Inkongruenzen Hinweise darauf gibt, ob diese als morphosyntaktische (frühe Komponenten) oder semantische Verletzungen (spätere Komponenten) detektiert werden. Als weiteres experimentelles Paradigma bieten sich Eyetracking-Studien an, in denen Interpretationen von dargebotenen Äußerungen über Blickbewegungen und die Detektion morphosyntaktischer Abweichungen über Pupillenreaktionen nachgewiesen werden können.

Mögliche Themenfelder für Promotionen:

  • Untersuchungen zur Rolle des sozialen Geschlechts bei der Verarbeitung von genuskongruenter und -inkongruenter Referenz.
  • Untersuchungen zu sprachübergreifenden Kontrasten in der Genusmarkierung und ihrem Einfluss auf die Genusinterpretation bei Mehrsprachrigen.
  • Verarbeitung unterschiedlicher Genderformen mit unterschiedlichen experimentellen Methoden.
  • Untersuchungen zu anderen Formen morphosyntaktischer Varianz im Bereich Kasus oder Numerus.

Literaturangaben

Binanzer, A., Gamper, J., & Wecker, V. (2021). Prototypen – Schemata – Konstruktionen: Untersuchungen zur deutschen Morphologie und Syntax, Berlin, Boston: De Gruyter.

Fleischer, J. (2022): „Qualität hat seinen Preis“: Genus-insensitives ‚sein‘ im Gegenwartsdeutschen. Linguistische Berichte 271. 251–288. 

Köpcke, K.-M. & Zubin, D. (2017). Genusvariation: Was offenbart sie über die innere Dynamik des Systems?. In Konopka, M. & Wöllstein, A. (Hrgg.). Grammatische Variation: Empirische Zugänge und theoretische Modellierung (pp. 203-228). Berlin, Boston: De Gruyter.

Molinaro, N., Su, J. J. & M. Carreiras (2016): Stereotypes override grammar: Social knowledge in sentence comprehension. Brain and Language 155. 36–43.

Schütze, C. (in Vorbereitung). Dissertation, GRK 2700.