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Forschung

Die Sozialpsychologie ist eines der klassischen Grundlagenfächer der empirischen Psychologie und hat eine hohe Relevanz im Alltag. Sozialpsychologische Forschung untersucht, wie Menschen ihre soziale Umgebung wahrnehmen und verstehen, wie sie in ihrem Denken, Fühlen und Handeln durch andere beeinflusst werden (z.B. durch Anweisungen oder Drohungen, Gruppendruck, Normen und Diskurse in der Gesellschaft). Außerdem wird untersucht, wie Menschen selbst sozialen Einfluss auf andere ausüben und – gemeinsam mit anderen Menschen – zu sozialem Wandel beitragen können.

In der Sozialpsychologie an der Universität Marburg berücksichtigen wir, dass solche Phänomene nicht nur individuelles Urteilen und Empfinden widerspiegeln, sondern auch durch Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen sowie gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen und Veränderungen (z.B. Diversität, Globalisierung) beeinflusst werden. Entsprechend nutzen wir theoretische Konzepte wie z.B. soziale Identität, soziale Repräsentationen oder Narrative. Auf methodischer Ebene verwenden wir quantitative und qualitative sowie grundlagen- und anwendungsorientierte Ansätze (z.B. Evaluationsforschung).

Bitte beachten Sie auch unser „Mission Statement“.

Unsere Forschungsschwerpunkte lassen sich vier Bereichen zuordnen:

1) Dynamiken politischer Positionierung und Polarisierung

In diesem Bereich interessieren wir uns dafür, wie Menschen das politische Feld strukturieren, warum sie sich in einer bestimmten Weise politisch verorten und welche Rolle die Verbundenheit mit politischen Parteien dabei spielt. Zudem untersuchen wir, wie Dynamiken der politischen Positionierung und Polarisierung sich auf politische Diskussionen (v.a. zwischen Andersdenkenden) auswirken. Hierbei betrachten wir auch, unter welchen Umständen Menschen Interesse an politischem Austausch haben und wie ein solcher Austausch konstruktiver ablaufen kann, z.B. durch die Förderung von intellektueller Bescheidenheit und mittels eines respektvollen Umgangs miteinander, der die jeweiligen Bedürfnisse der Beteiligten respektiert.

Ausgewählte Publikationen:

Knöchelmann, L., & Cohrs, J.C. (2024). Effects of intellectual humility in the context of affective polarization: Approaching and avoiding others in controversial political discussions. Journal of Personality and Social Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/pspi0000462

Rothers, A., & Cohrs, J.C. (2023). Felt respect in political discussions with contrary-minded others. Journal of Social and Personal Relationships, 40, 3858-3881.  
https://doi.org/10.1177/02654075231195531

Rothers, A. (2023). The poles in polarization: Social categorization and affective polarization in multi-party systems. Preprint available at: https://osf.io/preprints/psyarxiv/y8x6b

2) Kollektive Identifikation und Beziehungen zwischen sozialen Gruppen

In diesem Bereich untersuchen wir Inhalte kollektiver Identitäten (v.a. nationale Identität und europäische Identität), Prozesse der Identifikation und Desidentifikation sowie deren Auswirkungen auf Bedrohungswahrnehmungen, Vorurteile und Diskriminierung gegenüber anderen sozialen Gruppen, aber auch auf Bereitschaft zur Solidarität über Gruppengrenzen hinweg. Auch interessieren uns Zugehörigkeits- und Heimatgefühle sowie Wahrnehmungen gesellschaftlicher Inklusion und Marginalisierung und wie diese zu politischen Einstellungen und der Abwertung anderer Gruppen beitragen.

In einem Kooperationsprojekt mit Kolleg*innen aus der Politikwissenschaft und der Soziologie untersuchen wir Dynamiken europäischer (und nationaler) Identifikation und deren Folgen für Solidarität (EUNIDES: Europäische und Nationale Identifikation: Ursachen, Formen und Folgen für Solidarisierung und Entsolidarisierung; gefördert durch das BMBF, Laufzeit 2021-2023).

Ausgewählte Publikationen:

Cohrs, J.C., Westle, B., Bastias, F., Eckerle, F., Karić, T., Agunyego, W., Grimm, K., & König, P. (2024). Europäische und nationale Identifikation: Ursachen, Formen und Folgen für Solidarisierung und Entsolidarisierung (EUNIDES) (Abschlussbericht). 

Karić, T., & Cohrs, J.C. (2023). Failed to unite? Conceptualizations of Bosnian–Herzegovinian national identity. Peace and Conflict: Journal of Peace Psychology. Advance online publication, https://doi.org/10.1037/pac0000681

3) Herausforderungen des konstruktiven Umgangs mit Intergruppenkonflikten

In diesem Bereich untersuchen wir vor dem Hintergrund, dass Konflikte zwischen sozialen Gruppen oft eine lange Geschichte haben, wie sich vergangene kollektive Viktimisierungs- oder Diskriminierungserfahrungen auf aktuelle Beziehungen zwischen sozialen Gruppen auswirken und wie sich daraus dennoch ein konstruktiver Umgang in Richtung von Versöhnung zwischen sozialen Gruppen entwickeln kann. Auch untersuchen wir das Zusammenspiel zwischen wahrgenommenen Bedrohungsgefühlen, sozialer Identität, Fremdbildern, Opferüberzeugungen und Versöhnung zwischen sozialen Gruppen – eine besondere Herausforderung, da die beteiligten Gruppen oft Unterschiedliches meinen, wenn sie von Versöhnung sprechen. Weiterhin beschäftigen wir uns mit diesen Themen im Kontext gesellschaftlicher Konflikte um den Wandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft.

Ausgewählte Publikationen:

Karić, T., & Mihić, V. (2020). Construing reconciliation – Lay people definitions in Bosnia and Herzegovina: A qualitative approach. Primenjena psihologija, 13(2), 211-242.
Lienen, C.S., & Cohrs, J.C. (2023). Kollektives Gedächtnis: Wie der Umgang mit der Vergangenheit Konflikte in der Gegenwart beeinflusst. In J.C. Cohrs, N. Knab, & G. Sommer (Eds.), Handbuch Friedenspsychologie. Marburg: Forum Friedenspsychologie. https://doi.org/10.17192/es2022.0053 

Lienen, C.S., & Cohrs, J.C. (2021). Redefining the meaning of negative history in times of political change: A social creativity approach. Political Psychology, 42, 941-956. https://doi.org/10.1111/pops.12725

Lienen, C.S., Eckerle, F., & Cohrs, J.C. (2024). How do members of a perpetrator group negotiate multiple past ingroup transgressions? A German case study. Memory Studies. Advance online publication. https://doi.org/10.1177/17506980241247269

Vollhardt, J. R., Cohrs, J.C., Szabó, Z.P., Winiewski, M., Twali, M. S., Hadjiandreou, E., & McNeill, A. (2021). The role of comparative victim beliefs in predicting support for hostile versus prosocial intergroup outcomes. European Journal of Social Psychology, 51, 505-524. https://doi.org/10.1002/ejsp.2756

Karić, T., Van Assche, J., & Swart, H. (2024). ‘It always seems impossible, until it is done’: Perspectives on reconciliation and its underlying processes in post‐conflict societies. European Journal of Social Psychology, 54(5), 1015-1021. https://doi.org/10.1002/ejsp.3066

 4) Soziale Gerechtigkeit fördern: Politische Solidarität und kollektives Handeln

In diesem Bereich untersuchen wir die Bedingungen für gelingende Verständigung und Unterstützung über Gruppengrenzen hinweg sowie für solidarisches gemeinschaftliches Handeln gegen Ungerechtigkeiten und für soziale Veränderung: Unter welchen Bedingungen wenden Menschen sich gegen Ungerechtigkeiten und engagieren sich aktiv in Formen solidarischen Handelns? Uns interessiert hierbei auch die Frage, welche Mechanismen der ideologischen Rechtfertigung von Ungerechtigkeit entgegenwirken können, z.B. ein Bewusstsein eigener Privilegien sowie Aspekte der moralischen Urteilsbildung. Eine hohe Relevanz haben diese Fragen auch im Hinblick auf den Umgang mit dem Klimawandel. Hier untersuchen wir, wie der Neoliberalismus als vorherrschende gesellschaftliche Ideologie die Verantwortung für den Klimawandel von den sozialen und wirtschaftlichen Strukturen auf das Individuum und sein Verhalten verlagert und wie das Bewusstsein für diesen ideologischen Einfluss zu einer Infragestellung des Systems führen kann

Ausgewählte Publikationen:

Eckerle, F., Clarke, E.J., & Lutz, A.E. (2024). Wider die Reproduktion neoliberaler Ideologien in der Umwelt- und Sozialpsychologie. In Arbeitskreis Kritische Umweltpsychologie der Initiative Psychologie im Umweltschutz e.V. & Psychologists/Psychotherapists for Future e.V. (Hrsg.), Kritische Umweltpsychologie (S. 61-86). Psychosozial-Verlag. https://doi.org/10.30820/9783837962574 

Eckerle, F., Rothers, A., Kutlaca, M., Henss, L., Agunyego, W., & Cohrs, J. C. (2023). Appraisal of male privilege: On the dual role of identity threat and shame in response to confrontations with male privilege. Journal of Experimental Social Psychology, 108. Advance online publication,  https://doi.org/10.1016/j.jesp.2023.104492