Hauptinhalt
Edition des äthiopischen Jeremias-Zyklus
Bearbeiter: Konrad Martin Heide
Nach der Christianisierung des Reiches von Aksum (Nord-Äthiopien) im 4. Jahrhundert n.Chr. wurde die vollständige Bibel aus dem Griechischen in die altäthiopische Sprache übersetzt. Diese Bibelübersetzung ist sowohl für die Semitistik und Äthiopistik als auch für die alttestamentliche Wissenschaft von hoher Bedeutung. Das Buch Jeremias ist das größte prophetische Buch des äthiopischen Alten Testaments. Es wurde nicht in die Editionen des 19. und 20. Jahrhunderts aufgenommen. Ein erster Versuch zur Edition dieses Buches wurde vor etwa 100 Jahren von dem Theologen und Orientalisten Josef Schäfers in Angriff genommen. Schäfers starb jedoch im Herbst 1916 und sein bereits zum Druck vorbereitetes Manuskript ging während des ersten Weltkrieges in Paris verloren. Eine kritische Edition des äthiopischen Buches Jeremia ist nach wie vor ein Desideratum der Äthiopistik und der Septuaginta-Forschung.
Ab 2015 hat sich Konrad Martin Heide dieser Arbeit angenommen. Zur „Kritischen Edition des äthiopischen Jeremias-Zyklus“ hat er eine vollständige Kollation sämtlicher äthiopischen Textzeugen durchgeführt, unter Einschluß der im Äthiopischen mit Jeremia überlieferten Zusätze („Jeremias-Zyklus“). Dazu gehören das Buch der Klagelieder und die apokryphen Zusätze zum Buch Jeremias (das aus der Septuaginta bekannte Buch „Baruch“ (1Baruch) und der „Brief Jeremias“, sowie der „Rest der Worte Baruchs“ und weitere kleinere Ausschmückungen).
Der edierte Text bietet einen schnellen Einblick in den textlichen Charakter der frühest erreichbaren äthiopischen Version, dokumentiert aber auch die weiter untergliederten Stufen der Textgeschichte. Auch für die Entstehung des äthiopischen Kanons und für die Textgeschichte der Septuaginta, für die die äthiopische Bibel ein wichtiger Textzeuge in Übersetzung darstellt, sind die gewonnenen Erkenntnisse relevant. Mit der Edition dieses umfangreichsten Buches können auch Fragestellungen nach den frühesten Übersetzungsvorlagen und -methoden der äthiopischen Bibel beantwortet werden.
Während vor 100 Jahren nur ca. 15 relativ späte Handschriften aus europäischen Bibliotheken verfügbar waren, haben wir durch neuere Handschriftenfunde und Feldforschungen in Äthiopien digitale Kopien von über 40 weiteren, z.T. relativ frühen und daher für die Textgeschichte relevanten Handschriften, die hauptsächlich in der HMML erfasst sind (Hill Museum & Manuscript Library, http://hmml.org/manuscripts/). Ein Teil dieser neueren Handschriftenfunde wurde durch enge Zusammenarbeit mit der George Fox University (Portland / Oregon, USA) und dem dort durchgeführten Projekt EMIP (Ethiopic Imaging Project) bekannt.
Für die Erstellung des kritischen Textes wurden zunächst über einen begrenzten Textbereich sämtliche Handschriften vollständig kollationiert. Anschließend wurden ca. 20 repräsentative Handschriften ausgewählt und über den gesamten Textbereich erfasst. Die kritische Edition, die u.a. eine Zuordnung der zahlreichen Handschriften bzw. Varianten zu den verschiedenen Rezensionen des Buches Jeremias (die versio antiqua, die frühe Rezension, die sogenannte „arabische“, und die relativ späte „akademische“ Rezension) zum Ziel hat, wurde von Herrn Heide schwerpunktmäßig zwischen 2015 und 2018 durchgeführt und wird voraussichtlich 2022 in Druck gehen.
Um bei der Umsetzung dieses umfangreichen Projekts neue Wege der Forschung im engeren Gespräch mit Fachkollegen zu erörtern, hat am 4./5. Oktober 2016 im Fachgebiet Semitistik ein Workshop mit Fachkollegen stattgefunden, der dazu diente, neuere Erkenntnisse aus den Bereichen der Textforschung und Textkritik für das Projekt auszutauschen und nutzbar zu machen. Die Beiträge von Marin Heide, Michael Knibb, Steve Delamarter und Garry Jost, Alessandro Bausi sowie Siegfried Kreuzer werden im vorliegenden Tagungsband in der Reihe Supplement to AETHIOPICA veröffentlicht.