30.11.2005
S4-Hochsicherheitslabor für virologische Forschung in Marburg: Grundsteinlegung ist erfolgt
Ab 2007 sollen in Marburg neue Diagnosemethoden, Impfstoffe und Therapien gegen Viren entwickelt werden - Zeitgleich wurde auch das Diagonalgebäude des BMFZ eingeweiht
Spätestens seit der Entdeckung des Marburg-Virus im
Jahr 1967 gebührt Marburger Virologen ein Platz auf der Weltkarte der
Virenforschung. Nun, am 30. November 2005, bauen sie ihre
Spitzenstellung weiter aus: An der Philipps-Universität Marburg
erfolgte heute unter Anwesenheit von Professor Dr. Joachim-Felix
Leonhard, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und
Kunst, die Grundsteinlegung für ein Labor, dessen Bau den Anforderungen
der höchsten Sicherheitsstufe (S4) nach dem deutschen Gentechnikrecht
entspricht. Hier lassen sich nicht nur Untersuchungen an den Erregern
von Ebola, Sars und Vogelgrippe durchführen, sondern auch an deren
rekombinant veränderten Varianten.
Solche Organismen haben sich als zunehmend wichtiges Instrument für Forschung und Diagnostik erwiesen. Die gentechnisch veränderten Mutanten geben Aufschluss darüber, welche Bestandteile der Originalviren für ihre Gefährlichkeit verantwortlich sind. Ist die Funktionsweise der Viren erst einmal bekannt, können entsprechende Medikamente entwickelt werden.
Parallel zur Grundsteinlegung erfolgte auch die Übergabe des Diagonalgebäudes des Biomedizinischen Forschungszentrums (BMFZ) durch Peter Kettner, Baudirektor des Hessischen Baumanagements, an den Fachbereich Medizin. Das neue Gebäude ist, ebenso wie das S4-Labor, Bestandteil des 2. Bauabschnitts des Universitätsklinikums auf den Lahnbergen, der mit der Fertigstellung des Mutter-Kind-Zentrums im kommenden Frühjahr abgeschlossen werden wird. Das Diagonalgebäude wird die Institute für Virologie, Immunologie und Mikrobiologie beheimaten. In seiner direkten Nachbarschaft wird auch das neue Labor entstehen, dessen Errichtung den dritten Bauabschnitt des BMFZ darstellt.
Im Rahmen der Grundsteinlegung wies Staatssekretär Leonhard darauf hin, dass das Hochsicherheitslabor Teil der Erweiterung des Biomedizinischen Forschungszentrums der Universität Marburg ist. Die Kosten für das Gesamtprojekt belaufen sich einschließlich dieses neuen Laborgebäudes auf rund 160 Millionen Euro, die vom Land Hessen und dem Bund finanziert werden. Dass diese Summe auch noch unter den heutigen schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen aufgebracht wird, zeigt nach den Worten Leonhards, welch große Bedeutung die Landesregierung der Strukturentwicklung dieser Region, aber auch der Wissenschaft, der akademischen Lehre und dem Bereich der universitären Krankenversorgung beimisst. Diese Landesregierung wird trotz angespannter Haushaltslage den Hochschulbereich und die Universitätsklinika auch weiterhin in ihrem Bestreben fördern, die Wissenschaft, die Forschung und die Lehre zu optimieren und auf einem hohen Leistungsniveau zu etablieren.
Im Übrigen sei die Wahl des Standorts für das S4-Hochsicherheitslabor keineswegs zufällig: Die Konzentration von international führenden Experten mit jahrelangen Erfahrungen auf dem Gebiet der hochpathogenen Viren in Marburg sei deutschlandweit einzigartig, hob Leonhard hervor.
Neben dem Staatssekretär nahm auch Wilfried Schmied, Präsident des Regierungsbezirks Mittelhessen, an der Veranstaltung teil. Ein Grußwort wurde unter anderem vom Marburger Oberbürgermeister, Egon Vaupel, gesprochen, der auch den Gruß des Magistrats der Stadt überbrachte. Ebenfalls als Gäste anwesend waren unter anderem die Landtagsabgeordneten Anne Oppermann, Dr. Thomas Spies und Frank Gotthardt.
Der Präsident der Philipps-Universität, Professor Dr. Volker Nienhaus, bezeichnete die Grundsteinlegung und die Übergabe des neuen BMFZ-Gebäudes als wegweisende Meilensteine: "Nachdem das BMFZ bereits seit September 2003 genutzt wird, ist heute auch die Fertigstellung des Diagonalgebäudes vollendet. Und mit der Grundsteinlegung des Hochsicherheitslabors und dem für kommendes Frühjahr geplanten Umzug des Mutter-Kind-Zentrums auf die Lahnberge steht nun auch bald der zweite Bauabschnitt des Universitätsklinikums vor dem Abschluss. Mit diesen strategischen Projekten haben wir dafür gesorgt, dass der Marburger Fachbereich Medizin sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der klinisch-experimentellen Forschung weiterhin unter innovativen und zukunftsweisenden Bedingungen arbeiten kann."
Zusammen mit den bereits vor zwei Jahren in Betrieb gegangenen Gebäuden des BMFZ, so der Dekan des Fachbereichs Medizin, Professor Dr. Bernhard Maisch, finden sich auf den Lahnbergen jetzt ideale Bedingungen für die wissenschaftliche Kooperation der theoretisch-klinischen Institute und der Forschung der klinischen Fächer.
Auch der Direktor des Instituts für Virologie, Professor Dr. Hans-Dieter Klenk, begrüßte die nun anstehende Realisierung der Baupläne für die virologische Forschungsstätte sehr: "Wir haben seit Jahren darauf hin gearbeitet, ein solches hochmodernes Labor errichten zu können. Insbesondere liegt mir am Herzen, dass wir nun endlich auch die neueste Technologie bei unseren Arbeiten an gefährlichen viralen Erregern anwenden können.
"Wir sind dem Land und dem Bund für Investitionen in einer Größenordung von zehn Millionen Euro dankbar, so ergänzte Universitätspräsident Nienhaus, "die es unserem Institut für Virologie erlauben wird, weiterhin Forschung auf internationalem Spitzenniveau zu betreiben."
Bislang existieren in Europa lediglich zwei dem geplanten Marburger Labor vergleichbare Einrichtungen, nämlich das in Lyon vom Institut National de la Santé et de la Recherche médicale (Inserm) betriebene P4-Labor und das Stockholmer BSL-4-Labor des Institute for Infectious Disease Control. Etwa zeitgleich mit dem Marburger Labor wird voraussichtlich auch das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin ein vergleichbares Labor in Betrieb nehmen.
Die Projektleitung für den Bau des virologischen Labors liegt bis zur Übergabe an den Fachbereich Medizin beim Hessischen Baumanagement. Bereits im Jahr 2007 soll die hochmoderne Forschungsstätte, der auch der Wissenschaftsrat des Bundes und der Länder hohe Priorität beimisst, in Betrieb gehen. Die für die bauliche Fertigstellung und den Betrieb des Virenlabors erforderliche Betreibergenehmigung des Regierungspräsidiums Gießen wird noch in diesem Jahr erwartet.
Mit dem neuen Labor wird das Institut für Virologie der Philipps-Universität unter anderem über erweiterte Diagnosekapazitäten verfügen, um Virusepidemien in Deutschland und weltweit schnell zu erkennen und damit Hilfe bei deren Eindämmung zu leisten. Vor rund zwei Jahren war es daran beteiligt, dass der Erreger der Lungenkrankheit Sars bereits zwei Wochen nach dem ersten Verdachtsfall identifiziert und sequenziert werden konnte. Die Marburger Virologen sind wichtiger Partner im Biologischen Krisenmanagement Hessen und im European Network for Imported Viral Diseases (ENIVD) der Europäischen Union.
In den vergangenen Jahren führten die Arbeiten von Marburger Forschern zu zahlreichen neuen Erkenntnissen. So gelang ihnen etwa die Erzeugung von Antikörpern gegen Sars und bei der Entwicklung eines Lebendimpfstoffs gegen die Influenza . Gemeinsam mit einer internationalen Forschergruppe entwickelte Hans-Dieter Klenk kürzlich auch einen Impfstoff, der Primaten zuverlässig gegen Ebola- und Marburg-Viren schützt. Jüngst trafen zudem Experten aus aller Welt in Marburg zusammen , um über die Übertragbarkeit von Viren zwischen Tier und Mensch zu diskutieren.
hg/tk