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09.12.2005

Herausragende Dissertationen ausgezeichnet

Vizepräsident Professor Dr. Heldmaier verlieh in der Aula der Alten Universität die Promotionspreise 2005.

Sechs doctores wurden am Donnerstagabend in der Aula der Alten Universität mit den Promotionspreisen 2005 geehrt. Die von der Philipps-Universität und dem Marburger Universitätsbund gestiftete Auszeichnung richte sich, so der Vizepräsident der Philipps-Universität, Professor Dr. Gerhard Heldmaier, an jene, deren Leistungen "über das Maß des Herkömmlichen hinauswachsen". Ein Ansporn sollen die seit fast einem Vierteljahrhundert verliehenen und mit einer Urkunde, einem Geschenk und einem Geldbetrag verbundenen Preise sein, sagte Heldmaier, und zudem demonstrieren, dass sich Leistung lohnt - nicht nur die des Forschungs- und Lehrpersonals, sondern auch die von Lernenden. Dissertationspreis

Das zahlreich erschienene Publikum erlebte einen spannenden und vielfältigen Abend, den Mitglieder des Studentensinfonieorchesters musikalisch umrahnten und der anschließend an einem kleinen Buffet ausklang. Die Preisträger selbst - zwei Frauen und vier Männer - stammen aus den Fachgebieten Soziologie, Geschichte, Medienwissenschaft, Informatik, Geologie und Erziehungswissenschaften. Ausgewählt worden waren sie aus 190 in einem Betrachtungszeitraum von drei Jahren erfolgten Promotionen. 44 davon, darunter auch die Arbeiten der Preisträger, waren mit summa cum laude bewertet worden.

Dr. Matthias Koenigs Arbeit etwa hatte Veränderungen im Verhältnis von Religion und Politik in Europa zum Thema. In einem komparativen Ansatz hatte der Soziologe empirische Untersuchungen zur Inkorporation von Muslimen in Großbritannien, Deutschland und Frankreich durchgeführt und den Veränderungsdruck demonstriert, der auf multikulturellen Gesellschaftsmodellen lastet und der bereits einen Formenwandel des Nationalstaats erkennbar werden lasse. Eine Frage nicht nur von theoretischem Interesse: Die Einbeziehungen von Muslimen sei gerade nach den Terroranschlägen des Jahres 2001 zur dringenden Notwendigkeit geworden.

Angesichts dieses Themas fiel Dr. Katja Wüstenbecker die Überleitung zu ihrer eigenen Arbeit nicht schwer. Die Historikerin hatte sich mit der prekären Situation von Deutsch-Amerikanern beschäftigt, die während des Ersten Weltkriegs in den USA lebten und rund neun Prozent der Bevölkerung ausmachten. Unabhängig von ihrer jeweiligen politischen Einstellung gerieten sie aus Sicht der Amerikaner zunehmend zu einer Gefahr für die Sicherheit der USA, nicht zuletzt auch dadurch, dass manche von ihnen die Öffentlichkeit durch prodeutsche Paraden auf sich aufmerksam machten. Damals gründeten sich unter anderem patriotische Organisationen, um die deutschstämmigen Mitbürger zu "überwachen" und die häufig auch nicht vor psychischer und physischer Gewalt zurückschreckten. Immer stärker geriet die Innere Sicherheit damals zum Argument, die Bürgerrechte von Minderheiten zu beschneiden.

Die These, wie sich ein "Feindbild" auch zum "Fremdbild" entwickeln kann, führte anschließend der Medienwissenschaftler Dr. Matthias Steinle vor, der untersucht hatte, wie BRD und DDR sich gegenseitig im Dokumentarfilm darstellten - ein spannendes Thema unter anderem deswegen, weil der Eiserne Vorhang oft verhinderte, dass tatsächlich dokumentarisch gedreht werden konnte. Einhundert von fünfhundert zusammengetragenen Filmen analysierte Steinle schließlich als "Dokumente deutsch-deutscher Mentalität" und wies unter anderem nach, dass zahlreiche Stereotypen der heutigen "Ossi-/Wessi-Rhetorik" noch aus Zeiten des Kalten Kriegs stammen.

Eine ganz andere fachliche Ausrichtung präsentierte der Informatiker Dr. H. Michael Damm. Er hatte das - mittlerweile alltägliche Thema - des möglichen "Vertippens" beim Ausfüllen von Online-Formularen von Internet-Shops und Homebanking-Anwendungen analysiert. Damm konnte schließlich Verfahren entwickeln, die mit Hilfe "total anti-symmetrischer Quasigruppen" bisherige Methoden, wie sich Tippfehler mittels Prüfziffern automatisch erkennen lassen, verbessern. Zudem gelang ihm mit Hilfe eines optimierten Algorithmus die Widerlegung der Vermutung, dass es jenseits der achten Ordnung von Quasigruppen (Matrizen aus nach bestimmten Kriterien zusammengestellten Ziffern) nicht mehr zu einer totalen Anti-Symmetrie solcher Matrizen kommen kann.

Von Dr. Heinz-Martin Möbus erfuhr das Publikum im Anschluss, "wie die Hessischen Gräben funktionieren" - eine vereinfachte Formulierung seines Dissertationsthemas "Allochtone Triasschollen am Unterwerrasattel als Schlüssel zum Verständnis saxonischer Grabentektonik". Möbus hatte zahlreiche Geländedaten in der Region erhoben und aus ihnen schließlich ein Modell entwickelt, wie tektonische Verschiebungen, verursacht durch die Dynamik im Erdmantel, zur Entstehung solcher Gräben führen. Seine Ergebnisse seien zwar vorwiegend von wissenschaftlichem Wert, so der Geologe, könnten aber auch für den Tunnelbau und die Suche nach Gipslagerstätten nutzbar gemacht werden.

Last not least berichtete die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Korinna Schack über ihre "qualitative Studie über Grundorientierungen, Differenzen und Theoriebezüge der Umweltkommunikation". Jenseits der Frage, ob der Begriff der Umweltkommunikation überhaupt Sinn mache - die Umwelt hieße nicht Umwelt, wenn man mit ihr kommunizieren könnte -, untersuchte sie das "gesellschaftliche Webmuster, auf dem sich die Akteure der Umweltkommunikation bewegen". Drei Grundorientierungen der Akteure arbeitete sie heraus: die problemorientierte ("wir müssen die Bürger detailliert aufklären, damit sich umweltgerechtes Handeln in der Breite durchsetzt"), die handlungsorientierte ("es hilft nichts, wenn jeder genau Bescheid weiß, vielmehr müssen wir zum Handeln motivieren") und schließlich die Empowerment-Strategie (ein sozialpädagogischer Ansatz, der an den jeweils individuellen Stärken ansetzen will, um das Maß an Selbstbestimmung und Autonomie im Leben der Menschen zu erhöhen). Ihre Erkenntnisse so Schack, erklären manchen grundsätzlichen Streit über die geeignete Art der Umweltkommunikation und können, so ihre Hoffnung, auch die Basis für eine umfassende Theorie der Umweltkommunikation darstellen.

Anlässlich des Anlasses bleibt zu ergänzen, dass die Bedingungen für Promovenden an der Universität Marburg sich stetig verbessern. Über zehn Graduiertenkollegs, so hatte Vizepräsident Heldmaier in seiner einführenden Rede gesagt, verfüge die Universität bereits. Seit vergangenem Jahr existiere zudem ein Promotionskolleg für die Geistes- und Sozialwissenschaften, das seitens der Promovenden enorme Resonanz erfährt: Nahezu dreihundert Studierende beteiligen sich bereits daran und können von zahlreichen Angeboten zur intensiven Betreuung, zum interdisziplinären Austausch und von Zusatzveranstaltungen profitieren. Im kommenden Jahr werde die Universität zudem - im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern - einen Antrag auf eine Graduiertenschule in den Neurowissenschaften stellen, die im Vergleich zu Graduiertenkollegs deutlich mehr Promovierende beim Anfertigen ihrer Dissertation wird unterstützen können.

Weitere Informationen, auch zu den Preisträgern der Vorjahre und zu Trägern weiterer Preise der Universität, können auf den Internetseiten des Referats für Forschung und Transfer nachgelesen werden.

Hier finden Sie eine Zusammenstellung der Namen, Dissertationsthemen und betreuenden Professoren aller Preisträger des gestrigen Abends:

  • Dr. Matthias Koenig: Staatsbürgerschaft und religiöse Pluralität in post-nationalen Konstellationen. Institutioneller Wandel europäischer Religionspolitik am Beispiel der Inkorporation muslimischer Immigranten in Großbritannien, Frankreich und Deutschland;
    betreut von Professor Dr. Dirk Kaesler und Professor Dr. Dieter Boris
  • Dr. Katja Wüstenbecker: Deutsch-Amerikaner im 1. Weltkrieg;
    betreut von Professor Dr. Peter Krüger und Professor Dr. Eckart Conze
  • Dr. Matthias Steinle, Vom Feindbild zum Fremdbild. Die gegenseitige Darstellung von Bundesrepublik und DDR im Dokumentarfilm;
    betreut von Professor Dr. Heinz-B. Heller und Professor Dr. Gilbert Merlio (Sorbonne)
  • Dr. H. Michael Damm, Total anti-symmetrische Quasigruppen;
    betreut von Professor Dr. Heinz-Peter Gumm und den Professoren Schulz (FU Berlin) und Ganter (Dresden)
  • Dr. Heinz-Martin Möbus, Allochtone Triasschollen am Unterwerrasattel als Schlüssel zum Verständnis saxonischer Grabentektonik;
    betreut von Professor Dr. Wolf Stefan Vogler und Professor Dr. Helmut Prinz (Bingen)
  • Dr. Korinna Schack, Umweltkommunikation als Theorielandschaft. Eine qualitative Studie über Grundorientierungen, Differenzen und Theoriebezüge der Umweltkommunikation;
    betreut von Professor Dr. Udo Kuckartz und Professor Dr. Benno Hafenegger