09.12.2005
Präsidium begrüßt Beschluss zur Zentrenbildung in Hessen
Stellungnahme des Präsidiums der Philipps-Universität Marburg zur Entwicklung von Zentren in den geisteswissenschaftlichen Fächern an hessischen Universitäten anlässlich der Pressekonferenz des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (HMWK) am 9. Dezember 2005
Anlässlich der heutigen Pressekonferenz des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst zur Bildung regionalwissenschaftlicher Zentren in Marburg, Gießen und Frankfurt (siehe die Pressemitteilung des Ministeriums vom 9. Dezember 2005 sowie die Pressemitteilung der Philipps-Universität ) nimmt das Präsidium der Philipps-Universität Marburg wie folgt Stellung:
„Das Präsidium der Philipps-Universität Marburg begrüßt die vom Hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst, Udo Corts, am 9. Dezember 2005 bestätigte Absicht, die von den Universitäten Frankfurt, Gießen und Marburg mit dem HMWK abgestimmten Zentren geisteswissenschaftlicher Fächer an diesen hessischen Universitäten einzurichten. In Marburg soll demzufolge ein Zentrum für Nah- und Mittelost-Studien (‚Orient-Zentrum’) entstehen.
Mit der Bildung regionalwissenschaftlicher Zentren korrigiert die Landesregierung die negativen Auswirkungen des geltenden Finanzierungssystems insbesondere auf kleine geisteswissenschaftliche Fächer. Das Finanzierungssystem macht das Überleben von Fächern mit geringen Studierendenzahlen, die für die Wissenschaftskultur eines Landes unverzichtbar sind und oft herausragende wissenschaftliche Leistungen vorweisen, von der Möglichkeit und Bereitschaft zur universitätsinternen Quersubventionierung durch Fächer mit hohen Studierendenzahlen abhängig.
Das Programm der Zentrenbildung geht aber über die Korrektur eines Verteilungsschlüssels deutlich hinaus. Die in den Zentren zusammengefassten Fächer werden nicht nur in Minimalausstattung am Leben erhalten, sondern auf eine Größenordnung gebracht, die national und international wettbewerbsfähige Forschung und Lehre ermöglichen wird. Das Land stellt dazu für eine Anlaufphase erhebliche finanzielle Mittel bereit. Dafür gebührt ihm uneingeschränkter Dank und Anerkennung.
Auf Marburg werden bis 2010 insgesamt etwa fünf Millionen Euro entfallen. Es besteht zwischen den Universitäten und dem Land auch Einigkeit darüber, dass im Falle einer grundsätzlich positiven Evaluierung der Zentren nach der Anlaufphase die finanziellen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die Zentren dauerhaft kostendeckend fortgeführt werden können. Dies kann systemkonform über angemessene Clusterpreise und Leistungszahlen für die Studierenden erfolgen.
Das Zentrumsmodell in der heute hier vorgestellten großzügigen Art erreicht noch nicht alle gefährdeten geisteswissenschaftlichen Fächer. Im Interesse einer Existenzsicherung sollte aber die im Zentrumskonzept enthaltene Idee angemessener Clusterpreise für weitere gefährdete kleine Fächer übernommen werden, um auch ohne weit reichende Ausbaupläne deren Fortbestand zu sichern. Welch positive Effekte dies haben könnte, kann ein aktuelles Marburger Beispiel zeigen: Soeben wurde eine Marburger Geisteswissenschaftlerin mit dem höchstdotierten deutschen Wissenschaftspreis – dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis – ausgezeichnet. Der Nachweis wissenschaftlicher Exzellenz kann schöner nicht eintreffen. Frau HD Dr. Gyburg Radke ist als Klassische Philologin allerdings in einem Gebiet tätig, das erhebliche finanzielle Einbußen erleidet wegen geringer Studierendenzahlen, die es unter plausiblen Annahmen auch nicht bis zur Kostendeckung wird steigern können. Der auf Studierendenzahlen bezogene Verteilungsschlüssel reagiert nicht darauf, dass sie sich mit nahezu allen Bereichen der griechischen Geistesgeschichte beschäftigt hat und ihre altertumswissenschaftlichen Forschungsprojekte in kulturgeschichtliche und hermeneutische Zusammenhänge mit der Moderne stellt, womit sie Fächergrenzen überschreitet und wesentliche Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Antike vorlegt.
Da sich die formelgesteuerte Mittelzuweisung des Landes Hessen insgesamt zu Lasten von Marburg auswirkt, müssen ungeachtet der Forschungsexzellenz in solchen Bereichen starke Einschnitte in die Personalausstattung vorgenommen werden, wenn sich keine andere Lösung für die Finanzierung von (regional nicht fokussierten) geisteswissenschaftlichen Fächern mit strukturell geringen Studierendenzahlen finden lässt. Die Eingruppierung in ein spezifisches Cluster für gefährdete kleine Fächer wäre eine solche Lösung, die sich sogar in einer für das Land kostenneutralen Weise implementieren ließe. In diesem Sinne hofft das Präsidium der Philipps-Universität, dass das Land Hessen auf dem mit der großen Lösung der Zentrenbildung begonnenen Weg zur Erhaltung einer leistungsfähigen und vielfältigen Wissenschaftskultur fortschreiten wird. Diese Hoffnung ist eine starke Motivation für das Präsidium und die Gremien der Philipps-Universität Marburg, nicht nur die Herausforderung des Aufbaus eines Orient-Zentrums anzunehmen, sondern auch eingeführte Studienkonzepte und Kompetenzen für Osteuropa nach Gießen und für Japan nach Frankfurt abzugeben.
In den Bundesländern wird derzeit viel über den Erhalt kleiner geisteswissenschaftlicher Fächer diskutiert – aber wenig gehandelt. Die hessische Initiative zur Errichtung regionalwissenschaftlicher Zentren mit geisteswissenschaftlichem Kern ist daher ein wegweisender Schritt, der sowohl von der Politik als auch von den Hochschulen überregional Beachtung und sicher vielfach auch Anerkennung finden wird.“
Das Präsidium der
Philipps-Universität Marburg
Marburg, den 9. Dezember 2005