31.01.2006
Psychotherapie-Ambulanz behandelt Schizophrenie
Studie zeigt Effekt von ergänzender psychologischer Behandlung bei Schizophrenie
Die Psychotherapie-Ambulanz der Universität Marburg bietet nun auch Behandlungen von Patienten mit Schizophrenie. Um deren traditionelle Behandlung interdisziplinär zu erweitern, kooperiert die Psychotherapieambulanz Marburg unter Leitung von Prof. Dr. Winfried Rief mit verschiedenen Fachärzten für Psychiatrie sowie mit einigen Hausärzten. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Patienten, die neben der neuroleptischen Medikamente auch an einer psychologischen Behandlung teilnahmen, eine deutlichere Besserung erfuhren als wenn eine rein medikamentöse Behandlung erfolgte. Die neue Therapieform legt großen Wert darauf, gemeinsam mit den Betroffenen ein individuelles Erklärungsmodell der geschilderten Probleme zu erarbeiten. Es werden Strategien vermittelt, wie mit belastenden Symptomen wie Stimmen hören, Stimmungsschwankungen oder Ängsten umgegangen werden kann. Ferner wird sich bei Bedarf Zeit genommen, um Vorstellungen und Überzeugungen zu überprüfen, mit denen Betroffene in ihrer Umwelt auf Unverständnis oder Ablehnung stoßen. Ähnlich wie in der Behandlung von Depressionen erfolgt eine intensive Beschäftigung und Hinterfragung von Überzeugungen, die selbstwertschädigend sind. Aufgrund der bisherigen Effektivitätsnachweise ist diese Form der psychologischen Therapie in England in die Richtlinien für die Behandlung von Psychosen aufgenommen worden (NICE-Guidelines).
Hintergrund ist, dass die Probleme von Menschen mit einer schizophrenen Erkrankung vielfältig sind. So leiden Betroffene einerseits direkt unter den für die Erkrankung typischen Symptomen, wie Halluzinationen oder Verfolgungsideen. Andererseits nehmen sie wahr, dass die Kommunikation mit anderen durch Zerfahrenheit im Denken erschwert ist und dass sie aufgrund ihrer Symptome deutliche soziale und berufliche Leistungseinbußen verzeichnen müssen. Hinzu kommen Folgeprobleme wie die negative Erfahrung von möglicherweise unfreiwilligen Psychiatrieaufenthalten oder das Erleben von Unverständnis und Stigmatisierung durch Dritte. Dies alles führt zu extremer Verunsicherung bis hin zu Traumatisierung. Nach dem Abklingen einer akuten Episode leben viele Betroffene in permanenter Angst vor Rückfällen und erneutem Kontrollverlust. Die Vielfalt und Schwere dieser Probleme führt oft zu Hoffnungslosigkeit, manchmal bis hin zu Selbstmordabsichten.
Medikamente aus der Gruppe der Neuroleptika gelten seit ihrer Einführung als Therapie erster Wahl in der Behandlung von schizophrenen Psychosen. Sie leisten in vielen Fällen einen wertvollen Beitrag zur Minderung der Symptomatik und tragen bei regelmäßiger Einnahme deutlich zu einer Verringerung von Rückfallraten bei. Nachteile einer neuroleptischen Medikation bestehen darin, dass es häufig zu unerwünschten Begleitwirkungen kommt, die quälend und sozial beeinträchtigend sein können. Dies führt dazu, dass viele Patienten die medikamentöse Therapie ablehnen, abbrechen oder nur unter massivem Druck annehmen. Darüber hinaus bestehen trotz neuroleptischer Behandlung oft weiterhin beeinträchtigende Symptome. Schließlich ist die medikamentöse Behandlung an ihre Grenzen angelangt, wenn es um Patienten geht, die nicht davon zu überzeugen sind, dass sie überhaupt „krank“ sind und von einer medikamentösen Behandlung profitieren könnten.
Eine Ursache für die oft einseitige Betonung auf medikamentöse Ansätze liegt darin, dass Schizophrenie oft als ausschließlich biologisch bedingte psychische Erkrankung gewertet wird, deren Symptome einer Psychotherapie nicht zugänglich sind. Forschungsbemühungen der letzten 10-15 Jahre haben jedoch zeigen können, dass die spezifischen Verarbeitungsmechanismen, die mit psychotischem Erleben in Verbindung gebracht werden, sich zum Teil auch in der gesunden Normalbevölkerung finden lassen. Solche Erkenntnisse haben maßgeblich dazu beigetragen, dass es in jüngerer Zeit zu einem gesteigerten Forschungsinteresse am Einsatz kognitiv-verhaltenstherapeutischer Techniken für Schizophrenie gekommen ist.
Weitere Informationen:
Die Psychotherapie-Ambulanz der Universität Marburg bietet eine Behandlung nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen: Sie umfasst einen Zeitraum von ca. 25 Therapiestunden über einen Zeitraum von etwa drei Monaten. Patienten haben die Möglichkeit, ihre behandelnden Ärzte darauf anzusprechen, um eine Überweisung zu erhalten, so dass die Kosten von der Krankenkasse getragen werden.
Kontakt
Psychotherapie-Ambulanz der Universität Marburg (PAM)
Leitung: Prof. Dr. Winfried Rief
Gutenbergstrasse 18, 35032 Marburg
Ansprechpartner: Dr. Tania Lincoln (06421/2823647)
Dipl. Psych. Michael Ziegler (06421/2823698)
Dipl. Psych. Stephanie Mehl (06421/2823697)
Tel.:
06421/2823657 (Sekretariat der Psychotherapieambulanz Marburg)