16.10.2006
Politik und Kultur in Europa um 1700 an der Philipps-Universität
Interdisziplinäre Fachtagung an der Philipps-Universität hinterfragt Konkurrenz der Herrscherdynastien
Europa 1700 – lange galt das als das Europa des „Sonnenkönigs“ Ludwigs XIV. von Frankreich (reg. 1661 – 1715). Am glanzvollen bourbonischen Hof von Versailles orientierten sich die übrigen Höfe und Regierungen – so die landläufige Sicht noch heute. Die Frühneuzeitforschung stellt diese liebgewonnene Vorstellung freilich seit einiger Zeit zunehmend in Frage. Viel stärker wird herausgestellt, dass es gerade die Vielfalt der dynastischen Modelle war, die Europa in dieser Zeit prägte. Charakteristisch ist das Miteinander, der Austausch und Konkurrenz unterschiedlicher Modelle im dynastischen Europa. Hier deutet sich ein grundlegender Perspektivenwandel an.
Dieser Perspektivenwandel auf das Europa 1700 gab den Anstoß für eine international besetzte Fachtagung, die gemeinsam vom Seminar für Neuere Geschichte (Prof. Dr. Christoph Kampmann, Dr. Anuschka Tischer) und dem Kunsthistorischen Institut (Prof. Dr. Katharina Krause, Dr. Eva-Bettina Krems) an der Philipps-Universität mit Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung und des Ursula-Kuhlmann-Fonds veranstaltet wird. Drei Tage lang wollen Fachleute sich mit den konkurrierenden Modellen im dynastischen Europa 1700 in Vorträgen und Diskussionen beschäftigen. Der Gegenstand legt einen interdisziplinäre Herangehensweise nahe: Dynastie, Politik und Kunst bildeten in der symbolischen Welt der Höfe, der Herrschergeschlechter und des hohen Adels der Zeit eine untrennbare Einheit, nur in gemeinsamem Zugriff kann es Kunst- und Geschichtswissenschaften gelingen, diese Symbolik für heute zu entschlüsseln.
Besonders in den Blick genommen werden dabei drei Dynastien und ihre Wechselbeziehungen – die Bourbonen, die Habsburger und die Oranier. Die Dynastien und ihre Protagonisten, neben Ludwig XIV. waren dies der römisch-deutsche Kaiser Leopold I. (1658 – 1705) und König Wilhelm III. von England (1689-1702), verkörperten künstlerisch wie politisch sehr unterschiedliche Modelle. Zugleich bestimmte die Rivalität zwischen ihnen die Geschicke Europas. Um die Konkurrenz dieser drei Dynastien zu verstehen, ist freilich auch der Blick auf andere dynastische Modelle erforderlich, die zwischen ihnen vermittelten, ihre Einflüsse aufnahmen und fortentwickelten.
Die Tagung wird in drei thematische Schwerpunkte aufgegliedert. Zunächst wird es am Donnerstag um die unterschiedlichen dynastischen Traditionen gehen, die in der literarischen und architektonischen Selbstdarstellung zum Ausdruck kommen. Am zweiten Tag wird es um Krieg und Frieden gehen. Europa um 1700 – das war nicht nur die Zeit prunkvoller Selbstdarstellung, sondern auch der auffallenden Häufung von kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Rivalität der Dynastien fand eben auch seinen gewalttätigen Ausdruck. Der Umgang mit Krieg, seine Entfesselung und auch die Versuche zu ihrer Bezähmung werden daher näher in den Blick genommen. Im dritten Teil wird es um die gegenseitige Sicht der Dynastien aufeinander gehen. Wie schätzten sie sich ein, was wurde jeweils vom anderen Modell übernommen, was wurde verworfen.
Die Veranstalter erwarten nicht nur neue Perspektiven auf das dynastische Europa um 1700 – sondern auch grundsätzliche methodische Einsichten: Gerade die betrachteten Modelle lassen auch grundsätzliche Erkenntnisse über grenzüberschreitende Rezeptionsprozesse und Fragen des Kulturtransfers erwarten.
Weitere Informationen:
Die Tagung ist öffentlich und findet von Donnerstag, den 19. Oktober bis Samstag, den 21. Oktober 2006 im Hörsaal des Ernst-von-Hülsen-Hauses, Biegenstraße 11 statt.
Den öffentlichen Abendvortrag hält Thomas W. Gaethgens, Direktor des Deutschen Forums für Kunstgeschichte (Centre Allemand d’Histoire de l’Art), über „Repräsentation und individuellen Lebensstil von Friedrich I. bis Friedrich II. in Preußen“, gleichfalls im Ernst-von-Hülsen-Haus, am Freitag, den 20.102006, um 20.00h
Homepage der Tagung: Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa