31.10.2006
Würdiger Festakt: 30 Jahre Forschungsstelle für Personalschriften
Über hundert prominente Gäste aus Politik und akademischer Welt kamen im Fürstensaal zusammen – Grußworte der Mainzer Akademienpräsidentin und des Universitätspräsidenten und Festvortrag der DFG-Vizepräsidentin
„Dankbarkeit ist eine Tugend“, so begann der Prolog, der – vorgetragen von dem im Stile des beginnenden 18. Jahrhunderts gewandeten Schauspieler Peter Meyer – den zweistündigen Festakt anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums der Forschungsstelle für Personalschriften an der Philipps-Universität Marburg eröffnete. Im Fürstensaal des Landgrafenschlosses hatte am heutigen Dienstag, dem 31. Oktober 2006, eine prominente Gesellschaft zusammen gefunden: Weit über hundert Gäste unter anderem aus der Politik – die Abgesandten der Bundesländer Hessen, Sachsen und Thüringen waren vertreten –, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, aus der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz sowie aus Universität und Stadt waren gekommen, um den Gründer der Forschungsstelle, Professor Dr. Dr. h.c. Rudolf Lenz, für die Arbeit der vergangenen Jahrzehnte zu ehren.
Nationale und internationale Anerkennung habe die Forschungsstelle
gefunden, so der Präsident der Philipps-Universität Marburg, Professor
Dr. Volker Nienhaus in seinem Grußwort, und eine hervorragende
wissenschaftliche Infrastruktur geschaffen, auf deren Schultern
zahlreiche weitere Forschungsvorhaben möglich wurden. Die Feierstunde
sei natürlich einerseits der Forschungsstelle gewidmet, aber eben auch
dreißig Jahren der Tätigkeit von Rudolf Lenz, der zuletzt unter anderem
Anerkennung fand, als er das Bundesverdienstkreuz erhielt und zum
Ehrendoktor der Universität Breslau ernannt wurde.
"Vorführprojekt unter den Akademienvorhaben"
Anschließend sprach Professorin Dr. Elke Lütjen-Drecoll, Präsidentin der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz (ADW). Der Forschungsstelle, die seit 1991 als Arbeitsstelle der ADW geführt wird, dankte Lütjen-Drecoll für ihren außergewöhnlichen und sehr erfolgreichen Einsatz, eindrucksvolle Publikationen und auch ihre vorbildliche mediale Darstellung. „Die Forschungsstelle gehört ganz sicherlich“, so die ADW-Präsidentin, „zu den Vorführprojekten der 62 ADW-Vorhaben.“ Sie widmet sich der Ermittlung, Katalogisierung und Auswertung von Leichenpredigten aus der Frühen Neuzeit zwischen 1550 und 1750 und ist damit eine einmalige historische Quelle für Themen von den Sozialverhältnissen über Familienstrukturen bis hin zu Bildungs-, Literatur- und Medizingeschichte.
Auch die Abgesandten der Wissenschafts- und Kultusministerien der Länder, die Grußworte des jeweiligen Staatssekretärs verlasen, würdigten Lenz’ Tätigkeit: In den Personalschriften offenbare sich ein „Universum an historischen Quellen“, so der hessische Ministerialrat Gerd Mangel. Akademien, Universitäten und Länder seien darum aufgefordert, zu ermöglichen, dass die geschaffenen Archive der Wissenschaft und der Gesellschaft auf Dauer zur Verfügung gestellt und entsprechende Dienstleistungen vorgehalten werden. Auch Ministerialrat Joachim Linek aus Dresden würdigte den Quellenwert der Leichenpredigten, der die Untersuchung individueller Biografieverläufe, der Einstellung zum Tod, der Erwartungen an ein geglücktes Leben und nicht zuletzt kulturgeschichtlicher Details und Alltagsprobleme ermögliche. So seien die Ergebnisse der Forschungsstelle zum Beispiel eine zentrale Grundlage der „Sächsischen Biografie“, die derzeit vom Dresdner Institut für Sächsiische Geschichte und Volkskunde erstellt werde. Nicht nur in dieser Hinsicht sei es damit ein positives Beispiel für ein typisches Akademienvorhaben, das auf langfristig angelegte Grundlagenforschung ausgelegt sei. Dr. Joachim Emig, Direktor des Thüringischen Staatsarchivs Altenburg, würdigte die Forschungsstelle als „Projekt von nationaler Relevanz“ – so die Begründung der ADW für die Förderung – und gab Rudolf Lenz mit auf den Weg, er könnte „mit Stolz auf das Erreichte zurückblicken“.
Für den Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften sprach
schließlich Dekan Professor Dr. Hans-Joachim Drexhage und bescheinigte
dem Historiker Lenz „Zähigkeit, Umsicht und Elan“. Im Laufe seiner
„Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht“, sei Lenz zudem dem
Fachbereich immer nahe gestanden, sodass auch dieser nun mit Stolz
erfüllt sei: „Genießen Sie es: Der Fachbereich, das ist sicher, sonnt
sich mit Ihnen. Wir danken!“
"Vor allem eine Gemeinschaftsarbeit"
Gegründet worden war die Forschungsstelle für Personalschriften im Jahr 1976, zunächst mit Mitteln der Volkswagen-Stiftung und der Universität, später auch mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und schließlich der ADW. Schon 1991 wurde zudem eine Dependance in Dresden gegründet – auch deren 15-jährigem Jubiläum galt der heutige Festakt. Erst vor einer Woche, so Rudolf Lenz in seiner Dankesrede, habe auch die Akademienunion eine weitere Förderung der Dresdner Arbeitsstelle bis 2010 zugesagt. Insbesondere würdigte Lenz auch das Engagement seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne die das Erreichte nicht möglich gewesen wäre. „Die Forschungsstelle ist vor allem eine Gemeinschaftsarbeit, für die jeder der Beteiligten maßgebliche Beiträge erbrachte“, so Lenz. Insbesondere auch Dr. Eva-Maria Dickhaut sei hier zu nennen, die eine schon langjährige und überaus bedeutende Stütze der Forschungsstelle war und ist.
Schließlich hielt Professorin Dr. Luise Schorn-Schütte die Festrede.
Eine „wirklich große Freude und Ehre“, so die Vizepräsidentin der DFG
und Professorin für Neuere Geschichte in Frankfurt“, sei ihr dieser
Tag. Sie, die in Marburg studiert hatte, habe unter anderem im Rahmen
ihrer Habilitation selbst intensiv auf die Bestände der
Forschungsstelle zurückgegriffen. Insbesondere deren außergewöhnliche
fruchtbare Periode in den 1990er Jahren habe vielfältiges Material zur
europäischen Bürgertumsforschung geliefert, das zudem manche falsche
These über die frühe Neuzeit – etwa jene, die Eltern angesichts der
hohen Sterblichkeit von Kindern eine vergleichsweise emotionslose
Beziehung zu diesen unterstellte – widerlegte. Vor allem aber hob
Schorn-Schütte in ihrer Rede auf die Förderpolitik insbesondere
gegenüber den Geisteswissenschaften ab: auf die Frage, ob Verbünde oder
Einzelprojekte gefördert werden sollen, oder auf das das Verhältnis
zwischen Innovationspotenzial und dem Risiko, Geld „zu verschleudern“.
Im Rahmen dieser „Grenzdebatte“ habe zumindest die Forschungsstelle
„immer für eine sehr solide Entscheidungsbasis gesorgt“: Ihr
innovativer methodischer und inhaltlicher Ansatz sei von den
Entscheidungsgremien stets auf breiter Front mitgetragen worden.
Zahlreiche weitere Teilnehmer
Zu weiteren Teilnehmern gehörten unter anderem auch Wolfgang Käppler als Vertreter des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (Bonn); Professor Dr. Gernot Wilhelm, Vizepräsident der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse der ADW; die Altpräsidenten der Philipps-Universität Rudolf Zingel und Professor Dr. Dr. h.c. mult. Werner Schaal; Dr. Claudius Geisler, Generalsekretär der ADW; Dr. Jürgen Rainer Wolf, Leiter des Sächsischen Staatsarchivs; Eckhard Noack, Staatssekretär a. D., und Dr. Dr. Gert Maibaum, ehemaliger Leiter der Abteilung Hochschulen (beide Sächsisches Wissenschaftsministerium); Professor Dr. Eugeniusz Tomiczek, Direktor des Germanistischen Universität Breslau, und sein Stellvertreter Professor Dr. Marek Halub; Dirk Hummel, Leitender Ministerialrat im Hessischen Sozialministerium; und schließlich Egon Vaupel, Oberbürgermeister der Universitätsstadt Marburg.
Musikalisch umrahmte wurde die Veranstaltung von Professor Dr. Martin Weyer am Flügel und Karl Reissig (Trompete), die Werke von Johann Adolf Hasse (1699 bis 1783), Pavel Josef Vejvanovsky (1633?-1693) und Henry Purcell vortrugen.
Weitere Informationen
Beitrag über die Forschungsstelle für Personalschriften
im
Marburger
UniJournal Nr. 25, 2006:
www.unimarburg.de/aktuelles/unijournal/feb2006/breslau