01.11.2006
Entschlüsselt: Das Genom des Maisbrandpilzes Ustilago maydis
Vorgetäuschte Harmonie: Wie ein Schädling seine Wirtspflanze von seiner Harmlosigkeit überzeugt – Erste Genomsequenz eines biotrophen Pflanzenschädlings in Nature veröffentlicht – Bislang unbekannte Strategie der Pflanzeninfektion
Nur wenigen pilzlichen Pflanzenschädlingen gelingt es, sich in einer Wirtspflanze zu vermehren, ohne dass diese zu Abwehrmechanismen greift. Ein wichtiger Vertreter dieser Pilze ist der weltweit verbreitete Maisbrandpilz Ustilago maydis, der zudem als wichtiger Modellorganismus gilt, an dem sich die molekularen Mechanismen der Pathogenität untersuchen lassen.
Doch wie lässt sich das erfolgreiche Vorgehen von Ustilago maydis erklären? Überraschende Einsichten in die Geheimnisse seiner Infektionsstrategie erlaubt nun eine internationale Gemeinschaftsarbeit, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Marburger Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie (MPI Marburg) und des Fachbereichs Biologie der Philipps-Universität Marburg maßgeblich beteiligt waren. Dabei haben die Forscher die komplette Genomsequenz von Ustilago maydis entschlüsselt und daraus Hinweise auf einen neuartigen Infektionsmechanismus erhalten.
Unter dem Titel „Insights from the genome of the biotrophic fungal plant pathogen Ustilago maydis“ wurden ihre Ergebnisse am 2. November im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht (Nature, 2 November 2006, 443 (7115)).
Nur scheinbar harmlose Strategie
Anders als viele pflanzenpathogene Mikroorganismen, die die befallene Pflanze umbringen und sich von dem abgestorbenen Pflanzenmaterial ernähren, bevorzugt Ustilago eine scheinbar harmlosere Strategie. Er vermehrt sich in den Blättern und Blüten der Maispflanze, ohne dass es zu einer Abwehrreaktion der Pflanze kommt. Auf noch unbekannte Weise löst der Pilz dabei die Bildung großer Wucherungen aus, so genannter Gallen, in denen er von der Pflanze mit Nährstoffen versorgt wird. Diese Gallen sind das auffälligste Symptom befallener Maispflanzen und können eine beträchtliche Größe erreichen (s. Abbildung).
Auf den ersten Blick verriet die Genomsequenz den Forschern allerdings nicht, warum Ustilago über eine so effiziente Weise der Infektion verfügt. Auffällig war lediglich, dass sich in seinem Genom nur relativ wenige jener Gene finden, wie sie andere pilzliche Pflanzenerreger nutzen: Solche Gene kodieren für Toxine oder für Enzyme, die Zellwände abbauen und auf diese Weise ihre Wirte schädigen oder sogar abtöten.
Bislang unbekannte Strategie der Pflanzeninfektion
Eine überraschende Erkenntnis brachte erst die sorgfältige Analyse der Genomsequenz. An mehreren Stellen im Genom von Ustilago fanden sich insgesamt 12 Gencluster; die darin enthaltenen Gene wiederum kodieren für Proteine, die der Pilz durch seine Zellmembranen nach außen abgibt. Nahezu alle diese Gene, so ergab eine genomweite Analyse der Genexpression mit Hilfe von DNA-Mikroarrays, werden im Verlauf der Infektion angeschaltet. Mehr noch: Einige dieser Gencluster, so fanden die Forscher durch gezielte Mutationen heraus, sind für die Infektion unerlässlich. Fehlen sie, bleibt die Pilzinfektion im Anfangsstadium stecken.
„Wir nehmen an, dass es sich bei diesen sezernierten Proteinen um die entscheidenden Komponenten einer bislang völlig unbekannten Strategie der Pflanzeninfektion handelt“, sagt Professor Dr. Regine Kahmann, Direktorin am Marburger MPI und zugleich Professorin für Genetik am Fachbereich Biologie der Philipps-Universität. Mit Hilfe der abgesonderten Proteine gelinge es dem Pilz vermutlich, „die Wirtspflanze von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen“: Der Erreger kann sich nun ungestört in der Pflanze ausbreiten und wird von ihr sogar mit Nährstoffen versorgt. „Anscheinend ist es diese Strategie einer ‚vorgetäuschten Harmonie’, die die biotrophen Pilze so erfolgreich macht“, so die Genetikerin weiter. Biotrophe Erreger sind solche, die nur auf lebenden Wirtszellen gedeihen können. Im Laufe der Evolution haben sich biotrophe Pilze zu einer Vielzahl von Arten entwickelt, die zahlreiche unterschiedliche Pflanzen befallen.
Allerdings kann man sogar darüber streiten, ob es sich bei diesem Pilz überhaupt um einen Schädling handelt. Immerhin gelten die mit Ustilago infizierten Maiskolben in Mexiko, dem Herkunftsland des Maises, als hochgeschätzte Delikatesse. In der Mythologie der Azteken nimmt Ustilago sogar den Platz des Nektars ein: Der altmexikanische Name für den Maisbrandpilz, „huitlacoche“ oder auch „cuitlacoche“, bedeutet „Speise der Götter“.
Rund achtzig Autoren beteiligt
Die jetzt veröffentlichte Nature-Publikation wird von über achtzig Autoren verantwortet. Erstautor ist Professor Dr. Jörg Kämper vom MPI Marburg, Zweitautorin (und Initatorin des Projekts) ist Professor Dr. Regine Kahmann, Drittautor ist der Genetiker Professor Dr. Michael Bölker vom Fachbereich Biologie der Philipps-Universität.
Ein weiteres Ergebnis des Forschungsprojekts ist eine Datenbank, die
seit kurzem auf einer eigens eingerichteten Webseite des Munich
Information Center for Protein Sequences (MIPS) unter
http://mips.gsf.de/genre/proj/ustilago
öffentlich
zugänglich ist. Mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF) und der Max-Planck-Gesellschaft hat
die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Hans-Werner Mewes vom GSF –
Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt bei München die
Genomsequenz sorgfältig annotiert, also die rund 7.000 Gene von
Ustilago maydis identifiziert und mit funktionellen Beschreibungen
versehen. Diese aufwändige Arbeit, die teils manuell und teils
automatisiert vonstatten ging, kann nun entscheidende Unterstützung bei
weiteren Forschungen leisten.
Kontakt
Professor Dr. Jörg Kämper:
Max-Planck-Institut für
terrestrische Mikrobiologie, Karl-von-Frisch-Straße, 35043
Marburg
Tel.: (06421) 178-630, E-Mail:
kaemper@mpi-marburg.mpg.de
Professor Dr. Regine Kahmann:
Max-Planck-Institut für
terrestrische Mikrobiologie, Karl-von-Frisch-Straße, 35043
Marburg
Tel.: (06421) 178501, E-Mail:
kahmann@mpi-marburg.mpg.de
Tel.: (06421) 28 21536, E-Mail: boelker@staff.uni-marburg.de