07.11.2006
Größte europäische Supercomputersimulation zur Feinstruktur der Turbulenz
Forscher aus Ilmenau, Marburg und Italien haben 800.000 Stunden Rechenzeit an einem Supercomputer erhalten - Details bis hin zum kleinsten "Turbulenzatom" sollen untersucht werden
Ilmenauer, Marburger und italienische Turbulenzforscher haben im Rahmen eines europaweiten Wettbewerbes 800.000 Stunden Supercomputerrechenzeit erhalten, um tief in die strukturellen Details einer turbulenten Strömung hineinzuschauen. Die Berechnungen werden auf 1312 Mikroprozessoren verteilt, die damit rund 25 Tage ausgelastet sein werden. Die Simulationen sollen Aufschlüsse über die Dynamik und die Organisation eines der komplexesten Naturphänomene liefern und werden am Neumann Institut für Computing im Forschungszentrum Jülich durchgeführt.
Beim Begriff der Turbulenz fallen uns stark verwirbelte Strömungsmuster ein, wie sie schon Leonardo da Vinci skizziert hat und wie wir sie heute jeden Abend bei der Wettervorhersage sehen können. Es ist eine grundlegende Frage der Turbulenzforschung, wie dieser Tanz der Wirbel umeinander und ihr ständiges Werden und Vergehen erfasst und vorhergesagt werden kann. Die miteinander wechselwirkenden Strömungswirbel können im gewissen Sinne als die "Atome" der Turbulenz angesehen werden. Anders als die Bausteine der Materie können sie allerdings von sehr unterschiedlicher Größe sein: nach oben sind sie nur durch die Abmessungen der Strömung limitiert, nach unten durch die Skalen, auf denen die viskose Reibung dominiert. Die hierarchisch organisierte Verteilung über all diese Längen ist ein charakteristisches Merkmal für ein hochgradig komplexes System. Ein Verständnis der Organisationsstrukturen und -mechanismen hilft dann bei der Erklärung von Wolkenbildung und Regenentstehung oder bei der Verbrennung in Motoren.
Die Gleichungen, die turbulente Strömungen beschreiben, sind seit über 150 Jahren bekannt. Die Rückkopplungen der Strömung auf sich selbst machen die Gleichungen allerdings nichtlinear, so dass kaum analytische Lösungen bekannt oder möglich sind.
Viele Milliarden Gleichungen müssen gelöst
werden
Um Einsichten in das Verhalten der Strömungen zu gewinnen, ist man
daher auf numerische Simulationen angewiesen. Mit der jüngsten
Generation von Supercomputern, bei denen sich Tausende von Prozessoren
die Rechenarbeit teilen, gelingt es nun, die vielen Milliarden
Gleichungen, die für die Beschreibung einer turbulenten Strömung
erforderlich sind, numerisch zu lösen.
Professor Jörg Schumacher (Fakultät für Maschinenbau der TU Ilmenau)
und Professor Bruno Eckhardt (Fachbereich Physik der Universität
Marburg) ist nun zusammen mit Professor Katepalli R. Sreenivasan vom
International Centre for Theoretical Physics in Triest (Italien) ein
Supercomputing-Projekt bewilligt worden, bei dem die bisher größte
derartige Simulation zur Feinstruktur der Turbulenz im Rahmen der
Europäischen DEISA-Initiative (Distributed European Infrastructure for
Supercomputer Applications) durchgeführt werden wird.
Anders als bei vielen anderen Simulationen, bei denen versucht wird,
den Grad der Turbulenz sehr hoch zu treiben, sollen hier die Wirbel in
bisher unerreichtem Detail, vom größten bis zum kleinsten
"Turbulenzatom", aufgelöst werden. Die engmaschige Vernetzung der
Wirbel untereinander wird dann Aussagen über das turbulente Verhalten
auf vielen Skalen ermöglichen.
Das "numerische Experiment" findet auf einem massiv parallelen
Supercomputer am Neumann Institut für Computing am Forschungszentrums
Jülich statt. Das dort 2004 eingeweihte JUMP-Cluster mit 1312
Prozessoren ist einer der leistungsfähigsten Rechner in Europa. Die
Betreuung des Experiments erfolgt von Ilmenau aus über
Hochleistungsdatenleitungen.
(
Hinweis:
Dieser Text wird mit freundlicher
Genehmigung der Pressestelle der TU Ilmenau/Wilfried Nax hier zur
Verfügung gestellt.)
Kontakt
Professor Jörg Schumacher:
Technische Universität
Ilmenau
Fakultät für Maschinenbau, Fachgebiet Theoretische
Strömungsmechanik,
Tel.: (03677) 69-2428, (03677) 69-1281
E-Mail:
joerg.schumacher@tu-ilmenau.de
Professor Dr. Bruno Eckhardt:
Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Physik, Renthof 5, 35032
Marburg
Tel.: (06421) 28 21316
E-Mail:
bruno.eckhardt@physik.uni-marburg.de