03.02.2006
Auf dem Weg zur Halbleiter-Quantenoptik
Marburger Physiker präsentieren Überblicksartikel in Nature Physics
Quantenoptische Effekte in atomaren Systemen wurden in den letzten Jahren mit einer Reihe von Nobelpreisen gewürdigt. Beispiele sind die Bose-Einstein-Kondensation, optische Kühlung von Atomen, optische Fallen und einiges mehr. Für viele praktische und technologische Anwendungen solcher quantenoptischer Effekte, zum Beispiel auch für die technische Realisierung von Quantencomputern, ist es wünschenswert, die quantenoptischen Effekte in Festkörpern, speziell in Halbleitern realisieren zu können. Hier gelang im Jahr 2004 erstmals die so genannte „Vakuum-Rabi-Aufspaltung“ in Systemen von Halbleiter-Quantenpunkten.
„Die Realisierung dieses Effekts“, so der Marburger Physiker Professor Dr. Stephan W. Koch, „ist ein Ausdruck der starken Kopplung zwischen einzelnen Lichtteilchen und dem Halbleiter. Er ist eine der Voraussetzungen für genaue Untersuchungen, wie sich Lichtteilchen in jenen Halbleiterstrukturen verhalten, die als Basis künftiger Quantencomputer dienen können.“ Diese Forschungsarbeit ist sehr zukunftsträchtig: Theoretische Konzepte sagen voraus, dass die Leistungsfähigkeit von Quantencomputern diejenige herkömmlicher Rechnersysteme um mehrere Größenordnungen übertreffen wird.
Nun haben Stephan W. Koch und Mackillo Kira, Professoren für Theoretische Halbleiterphysik an der Philipps-Universität Marburg, gemeinsam mit ihren experimentell arbeitenden Kollaborationspartnern an der US-amerikanischen University of Arizona in Tucson, Professorin Dr. Galina Khitrova und Humboldt-Forschungspreisträger Professor Dr. Hyatt Gibbs, auf Einladung des Fachjournals “Nature Physics” einen Übersichtsartikel über die aktuellen Entwicklungen in der weltweiten Forschung verfasst. Unter dem Titel „Vacuum Rabi splitting in semiconductors“ (Vakuum-Rabi-Aufspaltung in Halbleitern) erschien er in dessen Februar-Ausgabe (Khitrova, Gibbs, Kira, Koch & Scherer, Nature Physics, Vol. 2, No. 2, Seiten 81 – 90 (2006)).
„Der Schlüsselbegriff für unsere Arbeit ist die ‚starke Licht-Materie-Kopplung’“, erklärt Juniorprofessor Kira. Dieses Phänomen, das sich besonders gut in Halbleiter-Nanostrukturen (so genannten Quantenpunkten) beobachten lässt, führt zu Effekten wie der Verschränkung von Lichtteilchen (dabei sind die Eigenschaften von Teilchen, auch wenn sich diese an ganz verschiedenen Orten aufhalten, untrennbar miteinander verbunden) oder der Superposition (dabei befindet sich, kaum vorstellbar, ein Teilchen zur selben Zeit in mehreren, unterschiedlichen Zuständen) und erlaubt auch, dass einzelne Lichtteilchen (statt eines ganzen Lichtstrahls) kontrolliert freigesetzt werden können. Effekte wie diese sind grundlegend für die Entwicklung von auf Quantenbasis arbeitenden Computern.
Die materielle Basis für entsprechende Experimente sind die Quantenpunkte: winzige Strukturen von bis zu 10.000 Atomen. Die darin befindlichen Elektronen tragen nur ganz bestimmte, „diskrete“ Energiemengen. (Normalerweise nimmt ihre Energie kontinuierliche Werte an.) Quantenpunkte wiederum lassen sich in kaum größere optische Resonatoren einbetten. Solche Resonatoren bestehen aus periodischen Anordnungen zum Beispiel von Löchern in Halbleiterschichten, so genannten photonischen Kristallen, oder aus periodischen Anordnungen verschiedener Halbleitermaterialien, sogenannter Bragg-Reflektoren. Wichtig ist hierbei, dass die Periodizitätslänge gerade die Hälfte der Wellenlänge des verwendeten Lichtes ist. In solche Resonatoren lassen sich nun die Lichtteilchen „einsperren“, die ähnlich wie die Elektronen nur über diskrete Energien verfügen. Die in diesem System beobachtbare Wechselwirkung zwischen Elektronen und Lichtteilchen ist es schließlich, die die Physiker untersuchen.
Systeme aus Quantenpunkten und Resonatoren in Halbleiterstrukturen könnten nun den Weg weisen, um eines der bislang größten Probleme auf dem Weg zur Herstellung zu Quantencomputern zu überwinden, nämlich die Dekohärenz. Dieser Begriff beschreibt das Phänomen, dass der definierte Zustand von Lichtteilchen und Elektronen durch deren Kontakt mit der Umgebung gestört wird, also nicht mehr kontrolliert werden kann.
„In der Arbeitsgruppe Theoretische Halbleiterphysik“, erklärt Koch, „arbeiten wir seit Jahren daran, bisherige Verfahren zur Herstellung und Untersuchung solcher Systeme zu verbessern, unter anderem, indem wir die Halbleiterstrukturen optimieren.“ In dem aktuellen Übersichtsartikel in Nature Physics diskutieren er und seine Kollegen nun die bisherigen Fortschritte auf dem Weg zur starken Licht-Materie-Kopplung in Halbleitermaterialien und die experimentelle Beobachtung der Vakuum-Rabi-Aufspaltung und schlagen verschiedene Testverfahren vor, mittels derer die quantenoptische Licht-Materie-Kopplung experimentell überprüft werden kann. Schließlich geben die Physiker aus Marburg und den USA auch einen Ausblick auf die möglichen Anwendungen im Rahmen der Quanteninformationstechnologie und der Herstellung von Quantencomputern.
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Professor Dr. Stephan W. Koch
Philipps-Universität Marburg
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