22.03.2006
1,4 Millionen Euro für High-Tech-Intraokularlinsen
Folgeeingriff nach „Grauer Star“-Operation kann vermieden werden – Neues BMBF-Projekt für Marburger Chemiker – Zweithäufigste Augenoperation verspricht großes wirtschaftliches Potenzial
Allein in Deutschland unterziehen sich jährlich rund 600.000 Patienten einer Operation, um die Eintrübung ihrer Augenlinse – umgangssprachlich „Grauer Star“ genannt – durch Implantation einer künstlichen Polymerlinse beseitigen zu lassen. In den Folgejahren allerdings kommt es in dreißig bis fünfzig Prozent der Fälle zu einer erneuten Eintrübung der Linse („Nachstar“), sodass ein weiterer Eingriff, in der Regel die so genannte Laserkapsulotomie, erforderlich wird. Dabei kann es zu Netzhautablösungen kommen.
Nun fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 1,37 Millionen Euro das von Norbert Hampp, Professor für Angewandte Biophysikalische Chemie an der Philipps-Universität Marburg, koordinierte Verbundprojekt „Intraokularlinsen mit optisch getriggerter Wirkstofffreisetzung und optisch adaptierbarer Brechkraft“, kurz ACTIOL. Im Rahmen von ACTIOL will das Team um Hampp gemeinsam mit dessen Marburger Kollegen, den Chemieprofessoren Markus Motzkus und Andreas Greiner, neuartige künstliche Augenlinsen entwickeln, die den Arzneistoff zur Therapie des Nachstars bereits in sich tragen und die Laserkapsulotomie überflüssig machen.
Diese Linsen erlauben es, den Nachstar nichtoperativ zu beseitigen und darüber hinaus auch die Brechkraft der Implantate – und damit die Sehschärfe der Patienten – noch nachträglich zu optimieren. Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird gemeinsam mit der Dr. Schmidt Intraocularlinsen in St. Augustin, dem Bayerischen Laserzentrum in Erlangen und Professor Dr. Lutz Hesse von der Augenklinik der SLK-Kliniken Heilbronn durchgeführt.
„Die von uns entwickelten polymeren Intraokularlinsen“, so Hampp, „können die Risiken der Nachstarbehandlung erheblich verringern.“ Hierfür werden die zu ihrer Produktion verwendeten Materialien mit therapeutischen Wirkstoffen „beladen“. Sobald sich die implantierten Linsen erneut eintrüben – in der Regel erst Jahre später –, lassen sich die Wirkstoffe mittels eines Lasers kontrolliert freisetzen, sodass sie die Ursache der Eintrübung, wuchernde Linsenepithelzellen, bekämpfen können. Ein chirurgischer Eingriff ist hierzu nicht notwendig.
„Das wissenschaftliche Novum unserer Arbeit besteht darin“, so Hampp, „dass die Wirkstoffe nicht durch normales Tageslicht freigesetzt werden, dem die Linsen ja ständig ausgesetzt sind, sondern nur durch eine besondere Form der Laseraktivierung.“ Auf ähnliche Weise lasse sich, erklärt Hampp weiter, „sogar die Brechkraft der Linsen postoperativ verändern und an die Bedürfnisse des Patienten anpassen.“ Zahlreiche Vorarbeiten einschließlich eines international erteilten Patents lassen die Forscher und ihre industriellen Partner hoffen, dass die neue Technik bis etwa 2010 in die Anwendung überführt werden kann.
Die wirtschaftliche Bedeutung des Actiol-Projekts lässt sich bislang nur schätzen. Von jährlich 600.000 „Grauer Star“-Patienten in Deutschland, denen eine künstliche Intraokularlinse eingesetzt wird, werden sich 180.000 bis 300.000 einer Nachstarbehandlung unterziehen müssen. Konkrete Zahlen liegen bislang nur für die USA vor: Hier gehen Schätzungen von jährlichen Kosten in Höhe von rund 100 Millionen US-Dollar für Kapsulotomien aus. Die neue nicht-invasive Technik kann einerseits dazu beitragen, diese Kosten erheblich zu senken, und wird andererseits vielen Patienten eine Kapsulotomie ersparen.
Kontakt
Professor Dr. Norbert Hampp
Philipps-Universität Marburg
Fachbereich Chemie
Physikalische Chemie
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35032 Marburg
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