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20.10.2007

„Die große Zeit des Wirtschaftssystemvergleichs hat gerade erst begonnen“

Marburger Forschungsstelle zum Vergleich von Wirtschaftssystemen feiert 50-jähriges Bestehen und firmiert nun als Marburg Center for Institutional Economics (MACIE)

voigt
Prof. Dr. Stefan Voigt, Prof. Dr. Leszek Balcerowicz, Prof. Dr. Alfred Schüller und Wirtschaftsminister Dr. Alois Rhiel
50 Jahre "Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme" - da ließ sich selbst der Hessische Wirtschaftsminister nicht nehmen, am Festakt am 19. Oktober teilzunehmen: Alois Rhiel hatte beim bisherigen Leiter der Forschungsstelle, Prof. Dr. Alfred Schüller, promoviert. Auch der Festredner Prof. Dr. Leszek Balcerowicz, der polnischer Finanzminister (1989 bis 1991 und 1997 bis 2000) sowie Präsident der polnischen Nationalbank (2001-2007) war, hatte an der Marburger Forschungsstelle wissenschaftlich gearbeitet.

Die Marburger Forscher setzen sich mit Ordnungsfragen der Wirtschaft auseinander, um Lösungsansätze für die vielfältigen wirtschaftlichen Probleme auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene zu finden. Jahrzehntelang stand der Vergleich von Zentralverwaltungswirtschaften und Marktwirtschaften im Vordergrund. "Der Zusammenbruch der meisten Zentralverwaltungswirtschaften 1989 markierte eine deutliche Zäsur, eröffnete aber temporär ein neues Forschungsfeld, nämlich wie die Transformation zu Marktwirtschaften gestaltet werden könne", so Schüller in seinem Rückblick.

Wie aber sieht die Zukunft aus, fragte der neue Leiter der Forschungsstelle, Prof. Dr. Stefan Voigt, der seit 2006 den Lehrstuhl für Ordnungsökonomik und internationale Wirtschaftsbeziehungen inne hat und in Personalunion die Forschungsstelle leitet: "Der Vergleich von Wirtschaftssystemen - ist das Schnee von gestern oder aktuelles Forschungsprogramm?" Auch nach der überwiegend erfolgreichen und erstaunlich schnellen Transformation ehemals sozialistischer Länder in marktwirtschaftlich geprägte Systeme bestehe laut Voigt Bedarf an Wirtschaftssystemvergleichen: „Die Vielfalt institutioneller Arrangements innerhalb von Marktwirtschaften ist erstaunlich; diese Institutionen haben zum Teil sehr weitreichende ökonomische Konsequenzen, die erst in den letzten Jahren zum Gegenstand ökonomischer Forschung geworden sind.“

Als konkretes Beispiel für die Relevanz politischer Institutionen nennt der Marburger Forscher die Ausgestaltung von Wahlsystemen. Ob ein Land sich für ein Verhältnis- oder Mehrheitswahlrecht entscheidet, habe weitreichende Folgen, unter anderem für die Höhe der Staatsausgaben, die Höhe der Defizite, die Struktur des Budgets, aber auch für das Ausmaß an Korruption. Die Konsequenzen unterschiedlicher Wahlsysteme seien inzwischen recht gut erforscht. Die Marburger Wissenschaftler beabsichtigen deshalb, in den nächsten Jahren unter anderen die ökonomischen Konsequenzen unterschiedlicher Zentralisierungsgrade (Föderalismus vs. Zentralismus), der Justizstruktur (z.B. Beteiligung von Laien, Zahl von Obergerichten) sowie der Partizipationsmöglichkeiten der Bürger (Ausmaß direkter Demokratie) zu erforschen.

"Wenn man zeigen kann, dass unterschiedliche politische Institutionen weitreichende ökonomische Konsequenzen haben", erklärt der Wirtschaftswissenschaftler, "dann ruft das sofort eine neue Frage hervor: Welche Gründe stehen hinter der Wahl bestimmter Institutionen? Warum gibt es in Westeuropa Staaten mit stark ausgeprägten direkten Partizipationsrechten der Bürger, aber auch andere Staaten, in denen solche Rechte praktisch nicht bekannt sind? Die Beschäftigung mit den Gründen für die Wahl von Institutionen ruft sogleich die nächste Frage hervor: Welche Institutionen sind miteinander kombinierbar – und welche schließen sich gegenseitig aus?"

Deshalb habe die große Zeit des Systemvergleichs gerade erst begonnen, ist sich Voigt sicher. Ein schöner Beweis seine These ist, dass die Eheleute Doris und Dr. Michael Hagemann am 16. Oktober 2007 eine gleichnamige Stiftung eingerichtet haben zur Förderung der Forschungsstelle. „In Zukunft wird die Forschungsstelle bewährte Elemente aus der Vergangenheit mit einigen neuen Elementen kombinieren“, kündigte Voigt die Neuausrichtung an. So werden die überaus erfolgreichen Buchreihen weitergeführt. Andererseits wird Forschung heute ganz überwiegend von der englischen Sprache dominiert. In Ergänzung zum deutschen Namen firmieren die Marburger Forscher in Zukunft auch unter dem Namen „ Marburg Center for Institutional Economics “ – kurz MACIE.

Der Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften betont, dass der Fachbereich die Forschungsstelle nicht als "Anhängsel", sondern als integralen Bestandteil und profilbildenden Eckpunkt sehe. Nicht zufällig böte man in Marburg zukünftig einen darauf spezialiserten Masterstudiengang "Master of Economics und Institutions" an. Der neu berufene Voigt brächte dafür die besten Voraussetzungen mit, da er einerseits innovative Forschungsansätze in Verbindung von Theorie und Emperie verfolge und andererseits interdisziplinär ausgerichtet sei, indem er sowohl wirtschaftschafts- als auch rechtswissenschaftlichen Fragestellungen nachgehe.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Stefan Voigt, Tel. 0171 7888959
E-Mail: voigt@wiwi.uni-marburg.de