26.02.2007
Bergwald-Ökosystem in Ecuador: Marburger Geographen koordinieren 8,5-Millionen-Projekt
Tropischer Bergregenwald und Landnutzung im Fokus – DFG-Gelder in Höhe von rund 1,8 Millionen Euro fließen an Philipps-Universität Marburg – Ökosystemare Biodiversitätsforschung in Forschungsstation vor Ort
Mit insgesamt 8,5 Millionen Euro fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Forschergruppe „Biodiversity and Sustainable Management of a Megadiverse Mountain Ecosystem in South Ecuador“. Sprecher des auf sechs Jahre angelegten Vorhabens ist Professor Dr. Jörg Bendix, Geograph, Klimatologe und Experte für Fernerkundung am Fachbereich Geographie der Philipps-Universität Marburg.
Die 25 Teilprojekte der ersten Projektphase (2007 bis 2010) werden von den Universitäten Marburg, Bayreuth, Darmstadt, Dresden, Erlangen, Gießen, Göttingen, Mainz, München (TU und LMU), Potsdam, Tübingen und vom Umwelt-Forschungszentrum Leipzig-Halle durchgeführt. Zu den internationalen Partnern gehören die Universität Wien, die Universidad técnica particular de Loja, die Universidad Nacional de Loja, die Pontificia Universidad Católica del Ecuador sowie die University of California in San Diego. Stützpunkt vor Ort ist die „Estación Científica San Francisco“ (ECSF) im südecuadorianischen San-Francisco-Tal, in der sich ganzjährig etwa 35 Wissenschaftler aufhalten können.
Sichere Existenzgrundlage für die Bevölkerung
Rund 1,8 Millionen Euro der Fördersumme fließen an die drei Marburger Teilprojekte „Climate dynamics: past and present“, „Central data services and SVAT modelling“ sowie „Central Services“. Geleitet werden sie von Professor Dr. Jörg Bendix und von Hochschuldozent Dr. Thomas Nauß.
„Unser Ziel sind wissenschaftlich untermauerte Empfehlungen zur optimalen Landnutzung“, so Bendix, „die entweder die bestehende Biodiversität bewahren oder zur Erholung geschädigter Flächen beitragen und gleichzeitig der lokalen Bevölkerung eine sichere Existenzgrundlage garantieren.“
Einerseits sind die ecuadorianischen Anden zwar einer der artenreichsten biologischen „hot spots“ der Welt, andererseits aber leidet das Land unter der höchsten Abholzungsrate Südamerikas: Vier Prozent der Waldfläche, vor allem tropischer Bergregenwald, fallen jährlich Brandrodungen und illegalem Holzeinschlag zum Opfer. „Bisherige Gegenmaßnahmen“, so Bendix weiter, „zeigen bestenfalls mäßige Erfolge, zumal sie vorwiegend auf Monokulturen exotischer Baumarten setzen.“ Auch die gerodeten Landflächen sind nur kurzfristig nutzbar: Meist werden sie binnen kürzester Zeit von landwirtschaftlich nutzlosem Adlerfarn überwuchert.
Regenradar misst Niederschlag
Wichtiger Bestandteil des neuen Projekts ist die Entwicklung von Modellen, die ökosystemare Zusammenhänge ebenso wie Interaktionen zwischen Ökosystem und Mensch simulieren. „Daten liegen bereits reichlich vor“, sagt Dr. Thomas Nauß, denn schon seit 2001 arbeiten Jörg Bendix und einige Kooperationspartner im Rahmen von drei DFG-Projekten in der Estación Científica. Unter anderem stehen Klimamodelle, Modelle zur Simulation von Wasser- und Energieflüssen oder Hangrutschungen sowie ein Waldwachstumsmodell auf dem Arbeitsprogramm der Forschergruppe. Satellitendaten zur Klassifizierung genutzter Flächen und zur Ermittlung atmosphärischer Prozesse werden die Forscher hierfür ebenso nutzen wie beispielsweise die Daten eines Regenradars in 3.200 Metern Höhe, das Niederschläge im Umkreis von bis zu sechzig Kilometern erfassen kann.
„Die langjährigen Vorarbeiten und das optimale Forschungsumfeld sind ein Schlüssel zum Erfolg unseres Vorhabens“, sagt Professor Dr. Jörg Bendix. Unter anderem verfügen die Forscher über die Möglichkeit zu satellitengestützter Kommunikation und über eine gesicherte Stromversorgung der Station und einiger Messpunkte im Bergwald – ohne diese ließen sich Spezialinstrumente wie das Regenradar gar nicht betreiben. Die bereits bestehende wissenschaftliche Infrastruktur im Bergwald und auf den degradierten Flächen, von Messgeräten bis hin zum ausgebauten Wegenetz, soll im Rahmen des neuen Projekts zudem nochmals deutlich erweitert werden. „Eine solche Ausstattung im tropischen Bergregenwald ist bisher weltweit einmalig“, erklärt Nauß, „und reiht sich in die weltweite Entwicklung hin zu ausgewählten Globalen Observatorien zum Monitoring der Biodiversität ein.“
Auch die ECSF-Forschungsstation selbst, die von der amerikanisch-ecuadorianischen Stiftung Nature and Culture International (NCI) errichtet wurde, wird nun eigens für die Forschergruppe um ein Gebäude erweitert, das neben Schlafräumen auch mehrere Labors, EDV-Einrichtungen und ein Herbarium bereitstellt. Darüber hinaus soll, in Zusammenarbeit mit NCI, ein Vortragsraum für die lokale Umweltbildung genutzt werden.
Wie hoch ist der Wert der Biodiversität?
Auch die Entwicklung sozio-ökonomischer Modelle durch Agrar- und Forstökonomen ist Teil des Projekts. „Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie sich der ‚Wert’ der Biodiversität und der Stabilität des Ökosystems messen lässt“, erklärt Thomas Nauß. Oder anders gefragt: Würde auch die ländliche Bevölkerung davon profitieren, wenn die Landnutzung nachhaltiger gestaltet würde? Wieder andere Arbeitsgruppen werden sich der Erfassung weiterer Daten sowie der Durchführung von ökologischen Experimenten widmen, die sich vor allem mit Interaktionen verschiedener Organismen untereinander (zum Beispiel zwischen Faltern und Wirtspflanzen oder zwischen Bodenpilzen und Biomasse) und mit deren Abhängigkeit von äußeren Faktoren wie der Niederschlagsmenge beschäftigen.
„Feldexperimente erlauben ebenso wie Simulationen einen Ausblick in die Zukunft“, erklärt Bendix. „Die Fragestellung lautet: Inwieweit wirken sich lokale Nutzungsszenarien, aber auch externe Faktoren des ‚Global Change’ auf die Nachhaltigkeit des Systems aus?“ Übergeordnetes Ziel des Projekts ist es schließlich, Handlungsempfehlungen für nachhaltige Landnutzungskonzepte abzuleiten und lokalen Entscheidungsträgern ein Werkzeug in Form eines wissensbasierten Entscheidungsunterstützungssystems an die Hand zu geben.
Schon jetzt kommt dem von Marburg aus koordinierten Forschungsverbund große Bedeutung für die Region zu: Auch im Antrag auf Einrichtung des UNESCO-Biosphärenreservats „Podcarpus-El Condor“ in Südecuador, den der ecuadorianische Staat im vergangenen Jahr stellte, spielten die Verbundpartner eine zentrale Rolle.
Weitere Informationen
Professor Dr. Jörg Bendix:
Philipps-Universität Marburg,
Fachbereich Geographie, Laboratory for Climatology and Remote Sensing,
Deutschhausstraße 10, 35037 Marburg
E-Mail:
bendix@staff.uni-marburg.de
, Internet:
www.lcrs.de
Dr. Thomas Nauß:
Philipps-Universität Marburg, Fachbereich
Geographie, Laboratory for Climatology and Remote Sensing,
Deutschhausstraße 10, 35037 Marburg
E-Mail:
nauss@lcrs.de
, Internet:
www.lcrs.de