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20.03.2007

Internationale Friedensforscher zu Gast in Marburg

Wissenschaftler und Praktiker diskutieren Weg zu stabilem Frieden und Versöhnung am Beispiel von Aceh

Auf Einladung des Zentrums für Konfliktforschung der Philipps-Universität trafen sich 80 internationale Friedensforscher und Mitglieder staatlicher und nicht-staatlicher Friedensinstitute in Marburg, um gemeinsam neue Lösungsansätze in der Friedensforschung zu entwickeln. Im Mittelpunkt des interkulturellen und interdisziplinären Austausches vom 13. bis 17. März zwischen Wissenschaftlern und Praktikern stand die von jahrzehntelangem Bürgerkrieg zwischen der lokalen Freiheitsbewegung und der indonesischen Zentralregierung geprägte indonesische Provinz Aceh. Am Beispiel von Aceh, wo seit 2005 nach internationaler Vermittlung Waffenstillstand herrscht, wurden Wege zu einer langfristigen Sicherung des Friedens diskutiert. Vertreter aus anderen Konfliktgebieten konnten dabei aus eigener Erfahrung berichten.

Postkonfliktgesellschaften seien oft nicht auf Rache und Vergeltung am ehemaligen Gegner fixiert, verdeutlichte der nordirische Sozialpsychologie Ed Cairns am Beispiel der Entwicklung seines Heimatlandes. Vielmehr komme es zur ausschließlichen Fixierung auf die eigene Partei. Die Vermeidung der Gegenpartei habe jedoch ebenfalls fatale Folgen, da es zu Benachteiligungen komme, etwa bei der Verteilung von Wiederaufbaumitteln, und die angespannte Situation so erneut aufgeheizt werde.

Ein wesentlicher Schritt bei der Aussöhnung von Nachkriegs- oder Nach-Bürgerkriegsgesellschaften sei die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Nürnberger Prozesse nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die Prozesse vor dem internationalen Gerichtshofs in Den Haag und die Installierung von War Crime Tribunals in Kambodscha sind Beispiele für solche Tribunale. Der Marburger Jurist und Experte für internationales Recht, Christoph Safferling, erklärte, dass die Prozesse eine doppelte Funktion haben: „Sie führen zur Aburteilung von Kriegsverbrechern, aber auch zur Aufklärung und Aufarbeitung der Vergangenheit jenseits juristischer Fragen nach Schuld und Verurteilung.“ Der lokalen und internationalen medialen Begleitung solcher Prozesse komme deshalb eine große Bedeutung zu.

Nach Schilderung des südafrikanischen Politikwissenschaftlers Pierre du Toit sind Wahrheitskommissionen ein weiterer Schritt zur Aussöhnung. Ziel der Kommissionen ist nicht die juristische Bearbeitung konkreter Verbrechen, sondern die öffentliche Aufarbeitung der kriegerischen Vergangenheit. Dabei stehe nicht die objektive Rekonstruktion der Geschehnisse im Mittelpunkt, eher gehe es darum, die unterschiedlichen Perspektiven und Motive der Beteiligten aus den Konfliktparteien verständlich zu machen. In Südafrika arbeiten Wahrheitskommissionen und Gerichte oft Hand in Hand: Schwere Verbrechen und Verfahren, in denen die Beteiligten keine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Kommissionen zeigen, werden an die Gerichte verwiesen. Verschiedene Organisationen arbeiten darüber hinaus mit unterschiedlichen Mediationsverfahren, um Aussöhnung zwischen vormaligen Konfliktgegnern zu ermöglichen.

Pädagogische Maßnahmen werden ebenfalls zum Abbau von Feindbildern eingesetzt. An zahlreichen Beispielen konnte der israelische Sozialpsychologe und Pädagoge Gavriel Salomon die konfliktreduzierende Wirkung von Kontakten zwischen Mitgliedern der Konfliktparteien verdeutlichen, die in den schulischen Unterricht eingebaut werden können.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den betroffenen Regionen Aceh und Indonesien sind sich sicher, viele der diskutierten Ansätze auf Aceh übertragen zu können. Allerdings wären noch die zukünftige Rolle der indonesischen Armee, die an dem Konflikt massiv beteiligt war und religiöse Hintergründe des Konflikts zu klären. Indonesien und Aceh sind gleichermaßen islamisch geprägt. Dieser gleiche religiöse Hintergrund sollte den Aussöhnungsprozess eigentlich begünstigen, allerdings dienen feine religiöse Unterschiede immer wieder als Differenzierungskriterium, um zwischen Aceh und anderen Teilen Indonesiens unterscheiden zu können.

Professor Dr. Ulrich Wagner, Direktor des Zentrums für Konfliktforschung und Veranstalter, ist zufrieden mit den Ergebnissen: "Die Marburger Konferenz konnte viele Fragen aufgreifen und Wege zur Aussöhnung aufzeigen. Gerade aus dem Konzert der Vielzahl von Empfehlungen, die in der Regel nur jeweils einzeln in den Blick genommen werden, ergeben sich neue und umfassende Perspektiven der Koordination der unterschiedlichen Schritte.“ Manche Fragen seien bisher aber auch noch offen. Beispielsweise, wann nach Einstellung von Kampfhandlungen Maßnahmen zur Aussöhnung sinnvoll eingeleitet werden sollen: „Möglichst unmittelbar, um eine breite gesellschaftliche Diskussion auszulösen, oder mit Verzögerung, um gerade oberflächlich verheilte psychische Schäden nicht gleich wieder aufzureißen?"


Kontakt

Professor Dr. Ulrich Wagner
Tel.: (06421) 28 23 66 4
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