Zurück zur Übersicht

03.06.2007

Marburger Forscher finden Gen des Goltz-Syndroms

Fast nur weibliche Embryos überleben – Publikation in Nature Genetics beschreibt Ursache der seltenen Erbkrankheit – Internationales Team entdeckt Mutationen im für die Embryonalentwicklung wichtigen PORCN-Gen

b
Das Goltz-Syndrom führt unter anderem zu asymmetrischen Fehlanlagen der Knochen. Das Röntgenbild zeigt die Hände eines Patienten; an der linken Hand fehlen zwei Finger. Foto: Rudolf Happle
c
Wade einer Patientin. Dort, wo in streifenförmigen Bereichen das Bindegewebe fehlt, tritt darunterliegendes Fettgewebe hervor. Foto: Rudolf Happle
Krankhaft veränderte Haut mit charakteristischem Streifenmuster sowie stark variierende Fehlbildungen von Haut, Augen und Skelett gehören zu den äußerlichen Merkmalen des Goltz-Syndroms. Weltweit sind derzeit einige hundert Fälle von Patienten bekannt, die an dieser Erbkrankheit leiden.

Neben äußerlich sichtbaren Merkmalen können auch Anomalien des Zentralen Nervensystems, des Magen-Darm-Trakts und des kardiovaskulären Systems auftreten. Die auch als fokale dermale Hypoplasie (FDH) bezeichnete Erkrankung führt bei männlichen Embryonen fast immer schon vor der Geburt zum Tod. Betroffene Frauen hingegen haben meist eine normale Lebenserwartung; bei schwerer Ausprägung des Syndroms sterben Patientinnen aber schon im Kleinkindalter.

Nun konnte ein Team von Humangenetikern unter Leitung von Professor Dr. Karl-Heinz Grzeschik, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Humangenetik der Philipps-Universität Marburg, und von Ärzten aus der Klinik für Dermatologie und Allergologie (Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg) die molekulare Ursache dieser ungewöhnlichen und seltenen Erbkrankheit aufspüren. Ihre Ergebnisse, die sie gemeinsam mit mehreren Partnern aus Deutschland sowie aus Argentinien, Italien und Ungarn erarbeiteten, haben die Forscher am 3. Juni 2007 in der Online-Ausgabe des internationalen Fachjournals Nature Genetics vorab veröffentlicht („Deficiency of PORCN, a regulator of WNT signaling, is associated with focal dermal hypoplasia“, DOI 10.1038/ng2052, www.nature.com/ng ).

„Die Ursache des Goltz-Syndroms, das in verschiedenen Schweregraden auftritt, war bislang unbekannt“, erklärt Karl-Heinz Grzeschik. „Man erwartete aufgrund des Vererbungsmusters und des überwiegenden Auftretens bei Frauen lediglich, dass das verantwortliche Gen auf dem X-Chromosom lokalisiert sein müsste.“ Grund für das Syndrom, so steht nun fest, sind Mutationen im PORCN-Gen, das tatsächlich auf dem X-Chromosom liegt. Dieses Gen kontrolliert die Funktion so genannter WNT-Proteine, die als Signalmoleküle in praktisch allen Bereichen der Embryonalentwicklung eine wichtige Rolle spielen: Normalerweise verknüpft PORCN die WNT-Proteine mit einem Ankermolekül, das ihnen hilft, die Zellmembran zu durchqueren, um dann außerhalb der Zelle ihre Signalfunktion wahrzunehmen. „Wenn diese Proteine aber nicht aktiv werden können, kommt es im Laufe der Embryonalentwicklung zu den charakteristischen Fehlbildungen“, so der Humangenetiker.

Möglichkeit der vorgeburtlichen Diagnostik

Diese Entdeckung ist auch von unmittelbarer praktischer Bedeutung. „Nun können wir die Diagnose auch bei geringgradig betroffenen Frauen mit hoher Sicherheit stellen. Zudem ist für jene, die dies wünschen, die Möglichkeit der vorgeburtlichen Diagnostik gegeben.“ Darüber hinaus liefere die Aufklärung des Goltz-Syndroms Erkenntnisse über die „richtige“ Funktionsweise des PORCN-Gens: „Wir Genetiker leben gewissermaßen davon, Mutanten zu analysieren“, so Grzeschik. „Aus der Fehlfunktion von PORCN können wir nun auf regulatorische Prozesse schließen, die große Bedeutung bei der Embryonalentwicklung haben.“

Der Schweregrad und die konkrete Ausprägung des Goltz-Syndroms lassen sich bislang allerdings nicht vorhersagen. Als X-chromosomal dominante Erbkrankheit ist es unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sich die Zahl der Zellen, in denen sich die Signalstörung ausprägt, von Patientin zu Patientin stark unterscheidet. In jeder einzelnen Zelle nämlich wird noch früh im Embryonalzustand eines der beiden X-Chromosomen inaktiviert: Nach dem Zufallsprinzip wird dabei mal das mutierte Gen ausgeschaltet, mal das gesunde. Zellen mit der Mutation sind also überall im Körper anzutreffen, führen aber nur dort zu krankhaften Veränderungen, wo in einem Gewebebereich das zweite, intakte Gen ausgeschaltet ist.

Kontakt

Professor Dr. Karl-Heinz Grzeschik
Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Medizin, Zentrum für Humangenetik
Tel.: (06421) 28 66233
E-Mail