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15.02.2008

Vor 50 Jahren: Marburger Herzchirurgen setzen Maßstäbe

Was vor 50 Jahren am 18. Februar 1958 in Marburg geschah, ist in die Medizingeschichte eingegangen. Erstmals in der Bundesrepublik wurde mit Hilfe einer Herz-Lungen-Maschine am offenen Herzen operiert. Der Marburger Herzchirurg Prof. Dr. Rudolf Zenker führte diese Operation durch. "Was damals eine Pionierleistung war, ist heute Standard geworden", sagt der Kardiochirurg Prof. Dr. Rainer Moosdorf.

"Herzchirurgie ist auch heute wie vor 50 Jahren ein Fach im Umbruch. Was damals eine Pionierleistung war, ist heute Standard geworden und schafft so wieder Raum für Innovationen, an denen auch Marburger Herzchirurgen partizipieren werden", sagt der Kardiochirurg Prof. Dr. Rainer Moosdorf, Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg.

Betriebsschaubild der Herz-Lungen-Maschine, erstellt 1958 vom Physikalischen Institut der Universität Marburg.
Vor 50 Jahren hatten sich die Marburger Herzchirurgen Prof. Dr. Rudolf Zenker (1903-1983) und sein Assistent Dr. Hans Georg Borst länger als ein Jahr auf diese Operation vorbereitet. Experimente mit Maschinen, die den Blutkreislauf und die Sauerstoffversorgung des Körpers aufrechterhalten, während das Herz still gelegt wird, um es reparieren zu können, waren seit 1937 in den USA versucht wurden – allerdings ohne Erfolg. Erst 1953 gelang im amerikanischen Philadelphia die erste „offene“ Herzoperation mit der Herz-Lungen-Maschine. Der damals 55-jährige Zenker, der die Marburger Chirurgie leitete, drängte auch in Marburg auf die Umsetzung bzw. Entwicklung einer Herz-Lungen-Maschine. 1956 bekam er eine solche Maschine zur Verfügung gestellt und entwickelte sie zusammen mit dem Physikalischen Institut der Universität Marburg so weiter, dass sie für Operationen mit Menschen verwendet werden konnte. Gleichzeitig wurde in einem eigens für diesen Zweck eingerichteten Tier-Operationssaal in der Klinik eine sehr große Zahl von Versuchsoperationen an Hunden vorgenommen. Im Februar 1958 fühlten sich die Marburger Chirurgen bereit, das an Hunden erprobte Operationsverfahren bei einem Menschen anzuwenden: Zenker führte das Skalpell, sein Assistent Borst betreute die Herz-Lungen-Maschine.

Obwohl die letzte Generalprobe der Operation an einem Hund tragisch verlief, erklärte sich die damals 29-jährige Johanna Kilian bereit, sich am folgenden Tag operieren zu lassen. Die arbeitsunfähige junge Frau litt bereits seit neun Jahren wegen eines Lochs in der Trennwand zwischen rechter und linker Herzkammer. 25 Jahre nach der Operation erinnerte sie sich an ihren Zustand vor 1958: „Ich war stets müde und konnte keine Arbeiten verrichten. Mir fiel das Gehen und das Sprechen schwer, ich litt unter Herzjagen, Beinschwellungen und nächtlichen Anfällen von Asthma.“ Das alles, weil sich das mit Sauerstoff angereicherte Blut aus den Lungen mit dem verbrauchten Blut aus dem Körperkreislauf mischte.

Prof. Zenker
Zenker
Die Operation am 18. Februar 1958 verlief erfolgreich. Im Marburger Operationsbericht ist vermerkt: „Das Loch hatte eine Größe von 5 zu 3 cm, es konnte durch fortlaufende Naht, die durch Einzelnähte verstärkt wurde, leicht verschlossen werden. 22 Minuten lang übernahm die Herz-Lungen-Maschine die Funktion von Herz und Lunge. Nach Abschalten der Maschine übernahm das Herz ohne Störung wieder seine Pumpleistung. Trotzdem fürchteten die Ärzte Komplikationen im Nachhinein, sei es nun ein Herzstillstand, Blutungen oder gar das Platzen einer Naht. Drei Wochen wachten sie am Bett der Patientin. Die Öffentlichkeit wurde erst nach knapp zwei Monaten informiert, als die Patientin aus der Klinik entlassen werden konnte (sie lebte noch mindestens 25 weitere Jahre gesund und munter!) Sofort meldeten sich etwas 30 weitere Herzkranke bei Zenker zu einer derartigen Operation an.

36 Jahre nach dieser Pioniertat hat sich, nachdem Prof. Dr. Rudolf Zenker Ende des Jahres 1958 einem Ruf nach München folgte und die Herzchirurgie seitdem verwaist war, 1994 auch wieder eine universitäre Herzchirurgie in Marburg etabliert. "Innovative Verfahren im Bereich der Bypass-Chirurgie bei schwereren Verkalkungen der Herzkranzgefäße, dem Ersatz und vor allem der Rekonstruktion erkrankter Herzklappen und dem Ersatz bzw. der Rekonstruktion bei Erkrankungen der Hauptschlagader, zunehmend mehr auch hier mit minimalinvasiven Techniken, haben dafür gesorgt, dass seitdem mehrere tausend Patienten am Ursprungsort der offenen Herzchirurgie in Deutschland behandelt werden konnten", so Moosdorf.

„Der anhaltende Erfolg der herzchirurgischen Maßnahmen heute beruht neben der Leistung eines sehr guten Operateurs bei Herzklappen- und Herzkranzgefäßoperationen in der vorausgehenden peniblen Diagnostik und Indikationsstellung durch den Kardiologen und der interdisziplinären Betreuung der Patienten im Herzzentrum, wie wir es in Marburg seit Beginn der 90er Jahre haben“, ergänzt Prof. Dr. Bernhard Maisch, Direktor der Marburger Klinik für Innere Medizin, Schwerpunkt Kardiologie, am Universitätsklinikum Gießen und Marburg.