26.02.2008
Internationale Krisenprävention zwischen Staat, Medien und Gesellschaft
Praktiker und Wissenschaftler diskutieren auf den "Zentrumstagen 2008" des Zentrums für Konfliktforschung
Weil Praxiserfahrungen Wissenschaft befruchtet, hatte das Zentrum für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg bereits zum dritten Mal über hundert Wissenschaftler und Praktiker wie Botschafter Friedrich Däuble, Beauftragter für Zivile Krisenprävention des Auswärtigen Amts, zum gegenseitigen Austausch eingeladen. Die „Internationale Krisenprävention zwischen Staat, Medien und Gesellschaft“ war Thema der diesjährigen Zentrumstage 22. und 23. Februar 2008.
Prof. Dr. Jörg Becker (KomTech, Solingen) problematisierte in seinem Vortrag „Medien im Krieg. Anforderungen für die Friedensforschung“ die wechselhafte Rolle der Medien in Geschichte und Gegenwart. Insbesondere verwies er auf die verfassungsmäßige Verpflichtung der Medien zur Friedenspflicht, der jedoch das unternehmerische Interesse von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen häufig gegenüberstünde. Stephan Sielschott, Stipendiat im Marburger Graduiertenkolleg „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, präsentierte die höchst ambivalenten Ergebnisse seiner Analyse der Berichterstattung der britischen Tageszeitung "The Guardian" im Vorfeld des jüngsten Irak-Krieges. Einerseits wurde dabei die Bedrohung durch den Irak und dort vermutete Massenvernichtungswaffen beschworen. Andererseits vermittelte die Berichterstattung den Eindruck, ein Krieg fordere Opfer und Kosten und werde für illegitime Ziele geführt. Überdies wurde der innenpolitische Entscheidungsfindungsprozess als undemokratisch und ein Einsatz militärischer Gewalt als völkerrechtswidrig dargestellt. Die Frage, wie eine Nachkriegsordnung aussehen könnte, wurde lediglich am Rande thematisiert.
Bianca Raabe, Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität, referierte über „Visuelle Konstruktionsmomente medialer Konfliktvermittlung. Seit dem 19. Jahrhundert haben sich verschiedene Konstruktionsmomente, darunter Raum und Körper, in der bildlichen Konfliktvermittlung herausgebildet. Dabei lässt sich feststellen, dass diese beiden Kategorien sich im Laufe der Zeit u.a. auf Grund einer veränderten Rezeptionshaltung, transformiert haben und auch gegenwärtige Konfliktformen noch weitgehend unter der Annahme symmetrischer Konstellationen einer militärischen Konfliktaustragung visualisiert werden.
Botschafter Friedrich Däuble, Beauftragter für Zivile Krisenprävention des Auswärtigen Amts, gab einen tiefen Einblick in die Arbeit seines kleinen Ressorts, eröffnete zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten für die anwesenden WissenschaftlerInnen und bemängelte, im Einklang mit dem Auditorium, die Ausstattung wie auch mediale Repräsentanz der Zivilen Krisenprävention.
Die Krisenprävention zwischen Wissenschaft und Praxis war zentrales Thema des zweiten Tages. Das von Prof. Dr. Christoph Weller (Universität Marburg) moderierte erste Podium beschäftige sich mit den Anforderungen und Hemmnissen einer Friedensforschung für die Politik. Hierzu waren Vertreter aus Wissenschaft und Politik gebeten worden, wie der Politikprofessor Gunther Hellmann der Universität Frankfurt, der Politikwissenschaftler und Mitglied des Deutschen Bundestages Michael Roth sowie der Geschäftsführer des Zentrums für Konfliktforschung, der Politikwissenschaftler PD Dr. Johannes Becker. Deutlich wurde, dass zum einen von Seiten der Politik ein Beratungsbedarf und von Seiten der Friedensforschung eine Beratungsinteresse besteht. Gleichwohl wurden auch die Kommunikationsbarrieren hervorgehoben, die zwischen beiden Seiten existieren. Auf großen Zuspruch stieß der Vorschlag Hellmanns, Politikberatung weiter zu fassen und darunter auch das Hineinwirken in die Öffentlichkeit und damit in gesellschaftliche Selbstverständigungsprozesse zu verstehen. Wissenschaft hat, so Hellmann, keinen privilegierten Standpunkt in solchen Debatten, aber sie ist sehr wohl dazu aufgerufen, sich an Debatten etwa um internationale Krisenprävention zu beteiligen. J.M. Becker äußerte den Verdacht, wissenschaftliche Beratung diene in der „großen“ Politik häufig zu Legitimierungszwecken, ihre Ergebnisse würden nicht ausreichend zur Kenntnis genommen.
Von besonderem Interesse für die Studierenden der Friedens- und Konfliktforschung war das ebenfalls hochkarätig besetzte zweite Podium am Samstag. Im Mittelpunkt stand hierbei die Frage, was die Praxis von der Friedensforschung und der universitären Ausbildung (zum Beispiel dem Masterstudiengang Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Marburg) erwartet. Hierzu waren eingeladen Catherine Devaux, die Gründerin und Sprecherin der amnesty international Arbeitsgruppe Krisenprävention sowie Consultant einer Unternehmensberatung, Dr. Volker Franke, Leiter des Forschungsabteilung des Bonn International Center for Conversion (BICC), Dr. Annette Backhaus, zukünftige Leiterin des GTZ Sektorvorhabens Krisenprävention und Konfliktbearbeitung, und Saskia Sell, die sich als Doktorandin des Zentrums für Konfliktforschung mit den Qualifizierungsmaßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung beschäftigt. In dem von Prof. Dr. Thorsten Bonacker (Universität Marburg) moderierten Podium umrissen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen vier Forschungsfelder, in denen sich besonderen Bedarf für ihre praktische Arbeit abzeichnet: Grundlagenforschung, Konfliktursachenforschung, Projektbegleitforschung und Evaluierung sowie die Weiterentwicklung von Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung. Im ersten und zweiten Podium wurde von den Vertretern und Vertreterinnen der Praxis mehrfach der Wunsch geäußert, wissenschaftliche Forschung den Aufgabenstellungen und Zwängen dieser Berufsfelder anzupassen und relevante Forschungsergebnisse der Praxis zugänglich zu machen, in dem bspw. Ein- bi szweiseitige Handlungsempfehlungen formuliert werden. Allerdings wurde von den anwesenden Wissenschaftlern darauf hingewiesen, dass die Freiheit, bspw. in Bezug auf Ergebnisse und Fragestellungen der Forschung, erhalten bleibe müsse und Lehrstuhlinhaber in erster Linie Studierenden und der Wissenschaft verpflichtet seien. Eine zu sehr auf die Praxis ausgerichtete Forschung, führt zu verschiedenen Dilemmata und kann Friedensforschung zum Legitimationslieferanten für politische Entscheidungen degradieren.
Erfreulich für den Masterstudiengang Friedens- und Konfliktforschung waren die Profilanforderungen für Mitarbeiter bei den vertretenen Organisationen der GTZ, BICC und amnesty international, die von den Podiumsteilnehmerinnen und Teilnehmern formuliert wurden. Denn diese Anforderungen, wie Teamfähigkeit und Interdisziplinarität, gehören bereits heute zu den wichtigsten Ausbildungszielen des Masterstudiengangs. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass Fremdsprachenkenntnisse und Berufserfahrung im Ausland für den Berufseinstieg in der Entwicklungszusammenarbeit als Qualifikationen immer wichtiger werden.
Kontakte über PD Dr. Johannes M. Becker, Zentrum für
Konfliktforschung
Telefon (06421) 28-24503, E-Mail:
becker1@staff.uni-marburg.de
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Internet:
http://www.uni-marburg.de/konfliktforschung