07.12.2009
Historiker Hans Lemberg verstorben
Philipps-Universität trauert um herausragenden Gelehrten von nationaler und internationaler Reputation
Im Alter von 76 Jahren ist vor wenigen Tagen der Marburger Osteuropahistoriker Professor Dr. Hans Lemberg verstorben. Mit ihm verliert die Philipps-Universität einen herausragenden Gelehrten von nationaler und internationaler Reputation, der das Profil der Universität und der Marburger Geschichtswissenschaft seit seiner Berufung nach Marburg im Jahre 1981 und weit über seine Emeritierung hinaus entscheidend geprägt hat. Lembergs akademisches Renommee, aber auch seine menschliche Strahlkraft, spiegelten sich nicht zuletzt in zahlreichen wissenschaftlichen Ehrenämtern. Bis zuletzt war er Ehrenvorsitzender des Collegium Carolinum, bis vor kurzem unter anderem im Vorstand der deutsch-tschechischen und deutsch-slowakischen Historikerkommission sowie über lange Jahre Vorstandsmitglied des Herder-Instituts.
Vor allem der Geschichte Ostmitteleuropas, vom Baltikum bis zum heutigen Tschechien und der Slowakei, galt das Interesse Lembergs. Osteuropäische Geschichte war für ihn stets Teil einer weiter gefassten europäischen Geschichte. Die Osteuropäische Geschichte, die Hans Lemberg in Marburg vertrat, konzentrierte sich anders als an vielen anderen deutschen Universitäten nie allein auf Russland beziehungsweise die Sowjetunion. Dass Osteuropa angesichts der Blockgrenzen im Kalten Krieg auch wissenschaftlich an der Elbe beginnen sollte, hat Lemberg nie akzeptiert.
Das wissenschaftliche Oeuvre Lembergs ist kaum zu überschauen. Es überspannt das 18., 19. und 20. Jahrhundert. Doch gerade in den letzten Jahren seines Wirkens hat sich Lemberg mit besonderem Engagement zeithistorischen Themen zugewandt. Die hoch komplexen und politisch überaus sensiblen Fragen von nationaler Entmischung, Zwangsmigrationen, ethnischen Säuberungen und Völkermord, aber auch der Imperativ der nationalen Versöhnung ließen ihn bis an sein Lebensende nicht los. Höchste Anerkennung in Wissenschaft und Politik, in Deutschland und Polen fand in den letzten Jahren ein von Lemberg initiiertes und mit dem polnischen Historiker Wlodzimierz Borodziej durchgeführtes deutsch-polnisches Kooperationsprojekt zur Geschichte der Deutschen östlich von Oder und Neiße nach 1945. In den vier Bänden, die das Resultat dieses Projekts bilden, wurde eine neue Qualitätsstufe in der Diskussion und Beurteilung der Vertreibung erreicht, von der freilich so manche gegenwärtige Diskussion im politischen Raum noch weit entfernt zu sein scheint.
Das öffentliche Echo würdigte nach dem Erscheinen des letzten Bandes 2004 einhellig den Vorbildcharakter des Werkes für die grenzübergreifende wissenschaftliche Aufarbeitung von Zwangsmigrationen in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.