29.06.2009
Menschlichkeit und Machtpolitik
Forschungsprojekt zur historischen Dimension humanitärer Interventionen
Ein neues Forschungsprojekt an der Philipps-Universität untersucht historische Beispiele für Militärinterventionen aus humanitären Gründen. Der Neuzeithistoriker Professor Dr. Christoph Kampmann erhält für sein Vorhaben bis zu 130.000 Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Hinter dem Schlagwort „Humanitäre Intervention“ verbirgt sich ein Thema, das derzeit in der Politik- und Völkerrechtswissenschaft, aber auch auf politischer Ebene sehr kontrovers diskutiert wird: Dürfen sich Staaten oder Bündnisse militärisch in die Angelegenheiten anderer Staatswesen einmischen, um deren Einwohnern humanitären Schutz zu gewähren? NATO-Einsätze im ehemaligen Jugoslawien und Zentralasien oder das russische Eingreifen im Kaukasus unter Verweis auf ein sogenanntes „right to protect“ haben diese Auseinandersetzung neu angefacht.
Doch eine solche, quasi „humanitäre“ Begründung für militärisches Eingreifen ist keine Erfindung der jüngsten Zeit. Dennoch wird die aktuelle Diskussion unter weitgehender Vernachlässigung seiner historischen Dimension geführt. „Das ist bemerkenswert, weil die Thematik historisch erhebliche Bedeutung besitzt“, erklärt Christoph Kampmann vom Seminar für Neuere Geschichte der Philipps-Universität, der das Forschungsprojekt initiiert hat. Dies gelte in besonderem Maße für die Frühe Neuzeit: Immer wieder griffen Gemeinwesen oder Monarchen in zum Teil spektakulärer Weise in anderen Staaten ein, was sie damit begründeten, dass sie eine universale Schutzpflicht hätten und „tyrannisch“ bedrängte Untertanen anderer Herrscher vor Verfolgung bewahren müssten.
Diesen historischen Vorläufern gilt das aktuelle Vorhaben der Marburger Neuzeithistoriker unter dem Titel „Militärische Intervention zum Schutz fremder Untertanen in der Frühen Neuzeit“. Das von Kampmann geleitete Projekt soll zum einen die intensive politik- und völkerrechtliche Diskussion untersuchen, in der es seit dem 16. Jahrhundert um die Notwendigkeit eines solchen Schutzes, aber auch die Gefahren seines machtpolitischen Missbrauchs ging. An diesen Debatten beteiligten sich unter anderem prominente Köpfe wie Hugo Grotius.
Daneben nehmen die Wissenschaftler einen konkreten, sehr spektakulären Fall genauer unter die Lupe, nämlich die Intervention Wilhelms von Oranien in England im Jahr 1688. Sie wurde begründet mit dem Recht und der Pflicht des Oraniers, die Untertanen des englischen Königs, also eines anderen Herrschers, vor religiöser und politischer Tyrannei oder einem Bürgerkrieg zu bewahren. „Im Ergebnis führte diese mit gewaltigem militärischen Aufwand durchgeführte Intervention in einer äußert brisanten internationalen Lage zu einer vollständigen Umwälzung der machtpolitischen Verhältnisse in Großbritannien“, erläutert Kampmann.
„Die jüngste Förderzusage der DFG ist hervorragend geeignet, das Profil der Marburger Geschichtswissenschaft in Hinblick auf die Theorie und Praxis der Internationalen Beziehungen sowie auf die westeuropäische Geschichte weiter zu schärfen“, erklärt der Historiker erfreut.
Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Christoph Kampmann,
Seminar für Neuere Geschichte
Tel.: 06421 28-
24604
E-Mail:
kampmanc@staff.uni-marburg.de