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19.10.2010

Homer und Europa

Lexikonprojekt unter Marburger Leitung zum Abschluss gebracht

Die Göttinger Akademie der Wissenschaften hat unter maßgeblicher Marburger Beteiligung das „Lexikon des frühgriechischen Epos“ (LfgrE) vollendet, das vor 65 Jahren begründet worden ist. Zum Abschluss fand in Hamburg ein Treffen der besten Homer-Kenner der Gegenwart statt, organisiert vom Altphilologen Arbogast Schmitt von der Philipps-Universität, der das Lexikon als Vorsitzender der Leitungskommission der Göttinger Akademie seit vielen Jahren betreute.

Homer
Homer in einer antiken Darstellung (Abguss-Sammlung, München/Foto: Bibi Saint-Pol)

„Es handelt sich um eines der wenigen langfristigen Großprojekte der Klassischen Philologie“, erklärt Schmitt. Das „Lexikon des frühgriechischen Epos“ beschäftigt sich mit den ältesten Texten der griechischen Literatur. Im Wesentlichen sind dies die homerischen Epen „Ilias“ und „Odyssee“, ferner die Gedichte von Hesiod und die so- genannten „Homerischen Hymnen“. Die Vollendung des Vorhabens wurde in zahlreichen Leitmedien des In- und Auslands gewürdigt.

Das Lexikon geht auf die Initiative von Bruno Snell zurück, einen der bedeutendsten Klassischen Philologen des 20. Jahrhunderts; „er begründete das Projekt unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, um mit der Analyse der sprachlichen Grundlagen Europas ein Gegengewicht zur geschichtsvergessenen Kulturlosigkeit im damaligen Deutschland zu schaffen“, berichtet Schmitt. „Der Grundgedanke war, dass nur eine Analyse der Sprache die Basis für ein wirkliches Verständnis der europäischen Kultur bieten könne.“ Homer sei für dieses Verständnis deshalb wichtig gewesen, weil bei ihm ein dokumentierbarer Wendepunkt nachzuweisen war, von dem aus sich das große Projekt der europäischen Aufklärung entwickeln konnte.

Hinzu kam die Rezeption und Wertschätzung Homers, die sich durch die gesamte europäische Geistesgeschichte belegen ließ. „Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Homer zusammen mit seinem ersten großen Nachahmer Vergil auch die neuzeitliche Literatur und Literaturtheorie maßgeblich mitgeformt hat“, erläutert der Marburger Altphilologe.

Schmitt verweist auf das Verdienst Bruno Snells, mithilfe des modernen Apparats der Altertumswissenschaften die hermeneutische Aufgabe neu anzugehen, den Zeitabstand zu Homer zu überbrücken. Dies sei zuallererst eine sprachliche Aufgabe: In welchen Bedeutungen werden die Wörter bei Homer gebraucht, welchen Gegenständen und Vorgängen sind sie zugeordnet? Der Grundaufbau des Lexikons ist bis heute gleich geblieben: Es verzeichnet alle im Textmaterial vorkommenden Wörter und Namen mit ihren Belegstellen. Jeder Eintrag enthält Abschnitte über Etymologie, über die Stellung im Vers, über die antiken Erklärungen und über die moderne Sekundärliteratur. Im Mittelpunkt steht die Bedeutungsanalyse.

Die Forschung erfuhr während der langen Bearbeitungszeit viele Veränderungen. „Snell wollte noch an der Sprache Homers die ersten, ursprünglichen, der Entdeckung des Geistes vorausgehenden Anfänge des europäischen Denkens demonstrieren“, führt Schmitt aus. „Heute wissen wir, dass Homer kein Anfang war. Er führt vielmehr eine lange Dichtungstradition zur Vollendung.“ Die Besonderheit der homerischen  Sprache, ihre Mischung aus Formen und Inhalten verschiedener Zeiten und Regionen habe durch die neuen Forschungsergebnisse deutlicher und genauer dokumentiert werden können als in dem entwicklungsgeschichtlichen Ansatz Snells.

Die Hamburger Tagung verdeutlichte die Relevanz des Lexikons für das Verständnis der Besonderheit der europäischen Frühzeit. Den Eröffnungsvortrag hielt der Doyen der deutschsprachigen Homerforschung, Professor Dr. Joachim Latacz aus Basel, der ein großes Publikum mit einer Darstellung der Höhepunkte des homerischen Einflusses auf die europäische Kultur begeisterte.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Professor Dr. Arbogast Schmitt,
Fachgebiet Klassische Philologie
E-Mail: schmitta@staff.uni-marburg.de

Akademieprojekt im Internet: www.uni-goettingen.de/de/10186.html