Zurück zur Übersicht

30.09.2010

Ingenieure des Lebens

Die Ziele der Synthetischen Biologie und daraus resultierende ethische und politische Fragen – diese Themen standen im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion, zu der das Fachgebiet Sozialethik am 28. September 2010 in die Aula der Marburger Alten Universität geladen hatte. An die hundert Zuhörer verfolgten die Debatte, an der neben Vertretern des Marburger „LOEWE“-Zentrums für Synthetische Mikrobiologie auch Wolf-Michael Catenhusen teilnahm, ehemals Staatssekretär im Bundesforschungsministerium und aktuell Mitglied des Deutschen Ethikrates.

Die Synthetische Biologie vollziehe einen Perspektivenwechsel, indem sie organische Gebilde planmäßig umbaue wie ein Ingenieur, erläuterte der Biologe Professor Dr. Michael Boelker zu Beginn. „Die Synthetische Biologie ist ein Versuch, die Komplexität des Lebendigen auf eine Minimalzelle zu reduzieren“, umriss der Genetiker das Ziel der neuen Forschungsrichtung und verglich diesen „Top-down“-Ansatz mit dem Bau von Autos, bei denen die Grundkonstruktion gleich bleibt und sich nur die Ausstattung ändert.

Synbio
Das Podium führte Fachleute aus Wissenschaft und Politik zusammen, von links: Moderator Jens Ried, der Sozialethiker Professor Dr. Peter Dabrock, Forschungspolitiker Wolf-Michael Catenhusen, der Physiker Professor Dr. Bruno Eckhardt und der Biologe Professor Dr. Michael Boelker. (Foto: Philipps-Universität Marburg / Matthias Braun)

Der Physiker Professor Dr. Bruno Eckhardt griff diese Stichworte auf und hob insbesondere hervor, wie komplex lebende Systeme seien. Daher sei es „mühsam, Zellen aus einfachsten Bausteinen zusammenzusetzen“, erläuterte der Geschäftsführende Direktor des „LOEWE“-Zentrums und skizzierte die strategische Alternative: „Die Hoffnung ist es, durch den Umbau von Zellen neue Funktionalitäten zu erhalten, Aufgaben von einer Zelle auf eine andere zu übertragen und möglichst auch zu verbessern.“

Der Forschungspolitiker Wolf-Michael Catenhusen lenkte die Aufmerksamkeit auf Sicherheitsfragen, die sich aus der gezielten Beeinflussung von Zellen ergeben. Er erinnerte an die Entwicklung der Chemie, in der man die unerwünschten Wirkungen neuartiger Stoffe oft erst nach Jahrzehnten erkannt habe. Da man die entstehenden Risiken nur im Labor beherrschen könne, bezeichnete er es als „nicht vorstellbar, außerhalb von Sicherheitssystemen zu arbeiten“. Die Politik müsse die wissenschaftlichen Fortschritte „begleiten, um gegebenenfalls die Notbremse ziehen zu können“.

Chancen und Risiken der Synthetischen Biologie standen auch im Zentrum der Überlegungen, die der evangelische Theologe und Sozialethiker Professor Dr. Peter Dabrock vortrug. Er mahnte an, auf die Erwartungen der Öffentlichkeit einzugehen: „Ich traue der Synthetischen Biologie vieles zu und möchte nicht, dass man die Hoffnungen so weit überdehnt, bis sie enttäuscht werden.“ Die Sozialethik habe daher sowohl Allmachtsphantasien der neuen Forschungsrichtung wie deren Skandalisierung zu hinterfragen. „Ich halte eine Entdramatisierung der Debatte für erforderlich.“

Die Statements der Podiumsteilnehmer regten das Publikum zu zahlreichen engagierten Wortmeldungen an, die unter anderem dem Problem der Komplexität und Sicherheitsfragen galten. So entspann sich beispielsweise eine Debatte darüber, ob man künftig für den planvollen Umbau von Organismen eher „ingenieurmäßige oder evolutionäre Prozesse nutzen“ werde, wie Catenhausen formulierte. „Die Synthetische Biologie ist eine Wissenschaft der Visionen“, resümierte Dabrock, „dem muss man sich stellen.“

Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen einer internationalen Klausurwoche statt, die das Fachgebiet Sozialethik zum Thema "Was ist Leben im Zeitalter seiner technischen Machbarkeit?"  vom 27. September bis 3. Oktober 2010 veranstaltet.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Professor Dr. Peter Dabrock,
Fachgebiet Sozialethik,
Tel.: 06421 28-22447
E-Mail: peter.dabrock@staff.uni-marburg.de

„LOEWE“-Zentrum im Internet: www.uni-marburg.de/synmikro