28.10.2011
Religion und Philosophie
Kurt Flasch hielt Christian-Wolff-Vorlesung 2011
Der vor wenigen Wochen mit viel feuilletonistischer Begleitmusik begangene Deutschland-Besuch des Papstes hat vor allem eines gezeigt: Es gibt wieder (oder vielleicht auch nur: weiterhin) ein Interesse an der Religion, an ihrer Haltung zu aktuellen Streitfragen und wohl auch an ihren von manchem gerne als unzeitgemäß angesehenen Sinnangeboten. Da ist es dann wenig überraschend, dass auch die jährlich stattfindende und bewusst den Namen eines der größten deutschen Aufklärer tragende Marburger Christian-Wolff-Vorlesung in diesem Jahr mit Prof. Dr. Kurt Flasch einen Redner einlud, der sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder kritisch mit den Fragen nach der so genannten christlichen Identität des Abendlandes, nach der historischen wie aktuellen Bedeutung des Christentums und nicht zuletzt mit der Geschichte der Philosophie, nicht nur, aber insbesondere des Mittelalters auseinander gesetzt hat.
Wie Dr. Winfried Schröder, Professor für Geschichte der Philosophie an der Philipps-Universität, in seiner Laudatio am Donnerstag, dem 27. Oktober 2011 betonte, ist Kurt Flasch „einer der herausragendsten Gelehrten unserer Zeit“. Dabei ist Flasch, auch das hob Schröder hervor, der erste in einer längeren Reihe von Rednern der vom Marburger Philosophen Peter Janich ins Leben gerufenen Christian-Wolff-Vorlesung, „der Wert darauf legt, auch und nicht nur nebenbei Philosophiehistoriker zu sein“. Die Vorredner, unter ihnen neben Jürgen Habermas und Volker Gerhardt auch Altkanzler Helmut Schmidt, waren – selbstredend mit Ausnahme des Letztgenannten – vor allem systematisch arbeitende Philosophen, Denker, die weniger an der Geschichte eines Problems als an seiner Lösung interessiert sind.
An diesem Abend betrat, wie Schröder in Anspielung auf Flaschs Buch „Kampfplätze der Philosophie“ sagte, der Redner also den „Kampfplatz“, auf dem sich „Philosophie und Religion in Deutschland, heute“ (so der Titel seines Vortrages) treffen. Wie schon seine kurze Kritik der Regensburger Rede des Papstes in der Süddeutschen Zeitung, so war auch sein Vortrag, dem am Donnerstagabend zahlreiche Hörer in der Aula der Alten Universität lauschten, nicht dazu angetan, Kontroversen zu verdecken und Einmütigkeit vor zu spiegeln – im Gegenteil!
Mehr als einmal wies Flasch auf das aus seiner Sicht problematische Beharren religiös geprägter Positionen in der heutigen Philosophie hin – und vergaß auch nicht darauf hinzuweisen, dass die aktuellen Entwicklungen, so die schon vor den Skandalen steigende Zahl der Kirchenaustritte, nicht für die vielfach behauptete Wiederkehr der Religion sprächen: „Das sieht alles nicht nach eine Renaissance der Religion aus.“ Wichtiger aber war Flasch der Hinweis, dass die modernen religionsphilosophischen Diskurse in vielem hinter den Stand der mittelalterlichen Debatten, die ja ebenfalls das Verhältnis von Vernunft und Glaube zu bestimmen gesucht hätten, zurück fielen.
Benedikt XVI. etwa behaupte seit Jahrzehnten die Vernünftigkeit des Christentums, ohne das damit verbundene Programm eines umfassenden Nachweises dieser Vernünftigkeit auch nur im Ansatz auszuführen, was Flasch als „weit unter dem Niveau mittelalterlicher Scholastiker“ bezeichnete. Diese Kritik trifft vor allem jene Autoren, die sich an einer Revitalisierung mittelalterlicher Metaphysik versuchen. Gleichermaßen wenig Verständnis brachte Flasch für jene zum Ausdruck, die das Christentum zu einer pluralistischen, quasi-säkularen Weltanschauung umdeuten wollten, wie der „postmoderne Reformator“ Gianni Vattimo. Er verglich Vattimo mit jemandem, der in guter Familientradition in seiner Jugend in einen Angelverein eingetreten sei, mit der Zeit aber eine Abscheu gegen die mit diesem Sport einhergehende Brutalität den Fischen gegenüber entwickle und dann versuche, seine Anglerfreunde davon zu überzeugen, lieber Tischdecken zu häkeln: „Das macht man nicht, da tritt man doch aus!“ Diese mangelnde Konsequenz und das Beharren auf alten, überkommenen Tradition stellte Flasch als eines der Grundprobleme der zeitgenössischen Debatten heraus.
Anders als der Frankfurter Philosoph Axel Honneth, der sich im
vergangenen Jahr immerhin mit dem nicht weniger kontroversen Thema
„Markt und Moral“ auseinander gesetzt hatte, sparte Flasch in seinem
Vortrag nicht mit teils deftiger Polemik. So werde mit Karl Heinz Haags
jüngster Wende zur christlichen Metaphysik „ein letzter Schüler der
Frankfurter Schule“ zum „rechtskatholischen Eiferer“ und Mitglied einer
„antimodernen Aktionsgruppe“ – wobei Haags Thesen nur eines belegten:
„den Verfall der Frankfurter Schule.“ Flaschs Vortrag war kontrovers,
teils polemisch und in mehr als einer Hinsicht aufklärend.
(Bericht: Dietrich Schotte, M.A., Institut für Philosophie der
Philipps-Universität Marburg)
Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Dietrich Schotte,
Institut für Philosophie
Tel .: +49 6421 2826630
E-Mail:
schotted@staff.uni-marburg.de
Christian-Wolff-Vorlesung im Internet:
www.uni-marburg.de/fb03/philosophie/institut/wolff-vorlesung