02.11.2011
Praktizierter deutsch-französischer Dialog in der Kunstgeschichte
Für ihre herausragenden Forschungen zum deutsch-französischen Kunst- und Kulturtransfer und zum Museum als europäischer Institution wurde die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy am Mittwoch Abend in der Aula der Alten Universität mit dem Richard Hamann-Preis für Kunstgeschichte 2011 der Philipps-Universität Marburg ausgezeichnet.
„Mit der Verleihung des Richard Hamann-Preises an Frau Savoy ehrt die Philipps-Universität eine Wissenschaftlerin, die das Schicksal der Kunstwerke als Teil der europäischen Geschichte lesbar und das Museum als eine europäische Institution verstehbar macht, während sie zugleich aus dem Fach Kunstgeschichte heraus Impulse für das kulturelle Selbstverständnis Europas setzt“, begründete die Jury ihre Entscheidung. Die in Berlin lehrende Französin habe eine Form der deutsch-französischen Kunstgeschichte entwickelt, in der die Forschungstraditionen beider Länder und ihre jeweiligen Perspektiven zusammengeführt seien. Ihre Untersuchungen zum Kunst- und Kulturtransfer verabschiedeten einseitig nationale Perspektiven auf die Kunst und das kulturelle Erbe.
Zentraler Bestandteil von Savoys Forschung sind Studien zum Kunstraub und zur Beutekunst. Hier fungieren die betroffenen Museen nicht nur als Forschungsgegenstand, sondern auch als Kooperationspartner, mit dem zusammen sie ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich macht, wie jüngst in der Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn mit dem Titel „Napoleon und Europa. Traum und Trauma“. „Schließlich sind für mich Beutekunst und Restitution auch Fragen aktueller gesellschaftlicher Verantwortung“, erklärte die Preisträgerin. In ihrem Festvortrag „« Futuristen, senkt euer Haupt! ». Ägyptenfieber in Berlin 1913“ führte sie aus, wie ästhetische Aneignungsmechanismen als höchste Stufe der Anerkennung fremder Kulturen die Moderne prägten.
Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause unterstrich in ihrer Begrüßung, warum Savoy eine besonders glückliche Wahl für den Preis sei. Dem Namensgeber Richard Hamann sei es nämlich gelungen, das Preußische Forschungsinstitut für Kunstgeschichte zu gründen, das erste geisteswissenschaftliche Institut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Im Gründungsdokument werde unter den Aufgaben des Instituts die „Erforschung der Beziehungen zwischen der deutschen und französischen Kunstgeschichte“ genannt. Der legendäre preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker beauftragte das Forschungsinstitut bei der Eröffnung 1930, „die durch den Krieg geschaffenen und leider zum Teil noch immer bestehenden Schranken zwischen den Wissenschaftlern der europäischen Länder zu beseitigen und dem Zustand unfruchtbarer Isoliertheit ein Ende zu machen, der in der Forschung anderer Länder genauso unheilvoll und gefährlich ist wie bei uns. Eine Stärkung des Bewusstseins der Einheit europäischer Kultur ist dringend nötig“. Krause schlug von der wissenschaftspolitischen Rede Beckers den Bogen zu den Forschungsschwerpunkten Savoys, „den Kunstbeziehungen zwischen den beiden Nationen“.
„Keine andere Person steht prominenter für die deutsch-französische Kunstgeschichte“, fasste Professor Dr. Andreas Beyer vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte, Centre Allemand d’Histoire de l’Art, aus Paris in seiner Laudatio zusammen. Neben ihren hochkarätigen Publikationen, in denen der Esprit Savoys „die Wissenschaftsprosa auf das Angenehmste belebt“, würdigte er insbesondere auch ihre Verdienste um die Förderung der kunstgeschichtlichen Forschung, die ebenfalls ein Kriterium für die Juryentscheidung war. Die ehemalige Juniorprofessorin Savoy zeige konstanten und unermüdlichen Einsatz in der Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses bei seinen Vorhaben und entwickle regelmäßig gemeinsam mit ihren Studierenden Forschungsprojekte. Der Marburger Unternehmer Peter Ahrens, der zusammen mit seiner Frau Karin den Richard-Hamannn-Preis als Zeichen seiner Zuneigung für die Philipps-Universität stiftete, umriss in seinem Grußwort weibliches Kulturschaffen in früheren Zeiten. Anschließend brachte er seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die junge Berliner Preisträgerin „ein Zeichen setzt für die Präsenz der Frauen in der Kunst, der Wissenschaft und ganz allgemein in unserer Gegenwart“. Diese erscheine ihm als ein zunehmend weibliches Jahrhundert.
Professorin Dr. Bénédicte Savoy studierte Germanistik an der École Normale Supérieure in Paris und promovierte im Jahr 2000 mit einer Dissertation zum napoleonischen Kunstraub. Seit 2003 lehrt sie Kunstgeschichte am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin, zuerst als Juniorprofessorin und seit 2009 als Professorin. Sie ist Mitglied der Jungen Akademie der Berlin-Brandenburgischen Wissenschaften und Mitglied des Exzellenzclusters TOPOI – Formation und Transformation von Raum und Wissen in den antiken Kulturen. Sie hat vielbeachtete Publikationen veröffentlicht zum napoleonischen Kunstraub, zur europäischen Museums- und Sammlungsgeschichte und zum deutsch-französischen Kulturtransfer. Bénédicte Savoy gehört der jüngeren Generation von Kunsthistorikern an, ist aber bereits mehrfach sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ausgezeichnet worden. So erhielt sie 2001 den Prix Pierre Grappin der Association des Germanistes de l’enseignement supérieur und 2009 den Walter de Gruyter-Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sie ist Mutter von zwei Kindern und mit einem Künstler verheiratet.
Der Richard Hamann-Preis für Kunstgeschichte ist dem Gedächtnis an den bedeutenden Kunsthistoriker und Begründer des Bildarchivs Foto Marburg geschuldet und wird in Würdigung seines wissenschaftlichen Gesamtwerkes und seines Wirkens an der Philipps-Universität vergeben: Richard Hamann (1879-1961) lehrte Kunstgeschichte in Marburg von 1913 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1949 und gründete das Bildarchiv Foto Marburg. Das heutige, von der Philipps-Universität Marburg getragene Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, das mit derzeit 1,7 Millionen Bildern eines der größten Bildarchive zur europäischen Kunst und Architektur ist, agiert international als Forschungs- und Serviceeinrichtung
Der Preis würdigt hervorragende wissenschaftliche Leistungen in der Kunstgeschichte oder in der Förderung der kunstgeschichtlichen Forschung. Der Preis wurde im Jahr 2009 erstmals und seitdem alle zwei Jahre verliehen, er besteht aus einer Urkunde und einem Geldbetrag von 5.000 Euro. Die Stifter des Richard-Hamann-Preises, die Marburger Kaufleute Peter und Karin Ahrens, engagieren sich seit Jahren aktiv als Freunde und Förderer der Philipps-Universität im Universitätsbund und unterstützen ausgewählte kulturelle Veranstaltungen.
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Ellen Thun
Stabsstelle Hochschulkommunikation und Presse
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