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13.09.2011

Besucherandrang am Tag des offenen Denkmals

Uni-Karzer war nach vielen Jahren erstmals wieder zugänglich

Der Aufenthalt im Karzer inspirierte die Studenten dazu, sich mit Sprüchen und Zeichnungen an den Wänden zu verewigen (Foto: Heike Heuser).
Am Sonntag, dem 11. September 2011, konnte der Marburger Universitätskarzer im Rahmen des Tags des offenen Denkmals seit langer Zeit zum ersten Mal wieder besichtigt werden. Rund 100 Personen – darunter viele Studierende – sahen den hessenweit einzigen original erhaltenen Karzer einer Universität.

„Die angekündigten Führungen waren bereits im Vorfeld alle ausgebucht; wegen der sehr beschränkten Größe des Karzers konnten nur kleine Gruppen hineingeführt werden“, erzählt Dr. Katharina Schaal, die Leiterin des Universitätsarchivs. „Vor allem aufgrund des schlechten Wetters am Nachmittag ermöglichten wir aber auch spontan entschlossenen Besuchern einen Einblick.“

Schaal unterstützte Dr. Norbert Nail, einen profunden Kenner des Marburger Karzers und Akademischen Oberrat der Philipps-Universität im Ruhestand, bei der historischen Einführung und der Erläuterung der einzelnen Sprüche und Darstellungen im Karzer.

Auf diesem Bett schlief um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert so mancher Student – nach gewalttätigen Auseinandersetzungen, nächtlichen Ruhestörungen und anderen Vergehen (Foto: Heike Heuser).

Der Marburger Studentenkarzer ist ein Relikt der akademischen Gerichtsbarkeit und wurde 1879 mit dem Neubau des Westflügels der so genannten Alten Universität eingerichtet. Er ist der letzte von mehreren als Karzer genutzten Räumen in Marburg, der noch als solcher erhalten ist. Anhand zweier unscheinbarer Bände, dem offiziell geführten Karzerbuch und einem im Karzer ausliegenden Buch, in das sich die Karzerbewohner selbst eintrugen, lässt sich die Belegung verfolgen: Nach reger Frequenz saß im Jahr 1907 der zunächst letzte Student ein. 17 Jahre später griff die Universität dann wieder auf den Karzer als Instrument der Disziplinierung zurück. Ab 1929 gab es mehrere Fälle von Karzerstrafen, obwohl dies nicht mehr als zeitgemäß angesehen wurde; 1931 wandelte sich der Karzer endgültig vom Arrestlokal zur lokalen Sehenswürdigkeit.

Typische Konfliktfelder in den Universitätsstädten, die zu Karzerstrafen führen konnten, waren gewalttätige Auseinandersetzungen unter den Studenten oder zwischen Studenten und städtischem Wachpersonal, nächtliche Ruhestörungen, das Einwerfen von Fensterscheiben und das Duellwesen. „Dazu kamen die für uns inzwischen nicht mehr recht nachzuvollziehenden Fälle von Beleidigungen“, sagt Schaal. Viele Studenten hatten zudem Schulden, unter anderem bei ihren Vermietern. Vor 1879 diente für diese Fälle der Schuldenkarzer, aus dem der Student erst nach der Begleichung aller Schulden wieder herauskam.

Der Aufenthalt im Karzer gehörte für manche Studenten zu einem „richtigen“ Universitätsstudium. Der Anteil der Verbindungsstudenten, die Farben und Zeichen ihrer Verbindungen zahlreich an den Wänden des Karzers hinterlassen haben, war in Marburg vergleichsweise hoch. Der Karzer ist nichtsdestotrotz vor allem ein Objekt der Universitätsgeschichte und des studentischen Alltags um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, dessen bemalte Wände interessante Einblicke in die Konflikte der damaligen Zeit geben.

Weitere Informationen:

Ansprechpartnerin: Dr. Katharina Schaal, Leiterin des Universitätsarchivs
Tel.: 06421 9250-176
E-Mail: uniarchiv@verwaltung.uni-marburg.de

Universitätsarchiv im Internet: www.uni-marburg.de/uniarchiv