14.02.2012
Professorenbesoldung bietet keine Anreize für die „klügsten Köpfe“
Marburger Universitätspräsidentin empfiehlt grundlegende Reform der W-Besoldung
Heute urteilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die W-Besoldung für Professoren, gegen die ein Marburger Chemieprofessor geklagt hatte. Die Präsidentin der Philipps-Universität Marburg, Professorin Dr. Katharina Krause, sieht sich durch den Richterspruch in ihrer Einschätzung bestätigt, dass Bund und Länder die mit dem Gesetz von 2002 versuchte Reform der Professorenbesoldung zum Wohl der Wissenschaft und der Universitäten erheblich nachbessern müssen.
Die W-Besoldung regelt seit 2002 die Besoldung von Professoren dienstaltersunabhängig mit einem zweigliederigen Vergütungssystem, das aus einem festen Grundgehalt und variablen, teils befristeten Leistungsbezügen besteht. Hinsichtlich der Ausgestaltung der Leistungsbezüge bestehen große Handlungsspielräume für Bund und Länder; letztere sind infolge der Föderalismusreform seit 2006 für die Besoldung ihrer Beamten zuständig. Gegenüber der früheren C-Besoldung wurde einerseits das garantierte Grundgehalt für Professorinnen und Professoren erheblich abgesenkt. Andererseits kann dies durch beträchtliche Leistungszuschläge erheblich aufgestockt werden. Finanzieren müssen dies die Universitäten kostenneutral aus den freigewordenen Mitteln der nun abgeschafften Dienstalterstufen. Je nach Bundesland unterscheidet sich das Grundgehalt erheblich; die Zulagen schwanken in Einzelfällen zwischen wenigen hundert und einigen tausend Euro.
Die Reform wurde in Hochschulkreisen allgemein angesichts mangelnder objektiver Leistungskriterien zur Festlegung von Zuschlägen als naiv und intransparent sowie wegen der Verletzung der Wissenschaftsfreiheit als kontraproduktiv für Forschung kritisiert, die rein erkenntnis- und weniger marktorientiert sei. Vor diesem Hintergrund klagte ein 2005 neu berufener, in die Besoldungsgruppe W 2 eingruppierter Professor mit Unterstützung des Deutschen Hochschulverbandes gegen das Land Hessen. Das W 2-Grundgehalt, das sich auf dem Niveau eines Studienrats bewege, entspreche nicht der für das Amt geforderten Ausbildung, Beanspruchung und Verantwortung, argumentierte der Kläger. Optionale Leistungsbezüge könnten keine Grundlage für eine amtsangemessene Alimentation sein. In der Endstufe liege das W 2-Grundgehalt ein Viertel unter der früheren C-Besoldung. Das Verwaltungsgericht Gießen verwies die Frage, ob seine W 2-Alimentation den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine amtsangemessene Besoldung genüge, an das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat mit dem heutigen Urteil die Frage verneint und die W2-Besoldung in Hessen für verfassungswidrig erklärt. Die evidente Unangemessenheit der Grundgehaltssätze werde nicht durch die vom Gesetzgeber in Aussicht gestellten Leistungsbezüge aufgehoben, weil diese offensichtlich weder für jeden Amtsträger zugänglich noch hinreichend verstetigt seien. Der Gesetzgeber habe verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Januar 2013 zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht zeigt dem Gesetzgeber verschiedene Wege auf: Er könne ein amtsangemessenes Alimentationsniveau über die Höhe der Grundgehaltssätze sicherstellen oder etwa die Leistungsbezüge so ausgestalten, dass sie alimentativen Mindestanforderungen genügen.
Die Marburger Universitätspräsidentin macht dazu folgenden Umsetzungsvorschlag: „Für die Nachbesserungen am neuen Besoldungssystem sind seit langem in Hessen und in einigen anderen Bundesländern die Voraussetzungen geschaffen. Lehrstühle oder Professuren mit Leitungsfunktion sieht das hessische Hochschulgesetz nämlich nicht vor. Vielmehr sind Professorinnen und Professoren aller Besoldungsgruppen prinzipiell in der Ausübung ihres Amtes gleichgestellt. Es gilt für alle gleichermaßen das individuelle Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit. Alle verfügen – in den Grenzen der Budgetverantwortung von Hochschulleitung und Dekanat – über eigene Ressourcen, die aufgabengemäß und zielorientiert eingesetzt werden müssen. Wenn dies durch die gegenwärtige Differenzierung nach W 2 und W 3 verhindert wird, ist kritisch zu fragen, ob der feste Wille des Gesetzgebers und der Hochschulen besteht, das Potential der ‚klugen Köpfe’ einzig und allein nach Kriterien der wissenschaftlichen Leistungen messen zu wollen.“
„Die über Jahrhunderte gewachsene Vorstellung, W 3-Professuren seien für ‚bessere’ Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen vorzuhalten, ist ein Zopf, den es endlich abzuschneiden gilt“, fordert Krause, die selbst seit 1996 Professorin für Kunstgeschichte ist. „Der eigentliche Vorzug der W-Besoldung, die individuelle Leistung zu honorieren, wird durch das Fortbestehen der Klassifizierung zwischen W 3- und W 2-Professuren konterkariert. Allein für die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen am Anfang der Laufbahn kann es sinnvoll sein, zwar dieselben Freiheiten zu garantieren, das Aufgabenspektrum aber im Umfang noch zu reduzieren und dies auch in einer geringeren Besoldung auszudrücken, wie dies bei Juniorprofessuren mit W 1-Besoldung der Fall ist.“
Krause regt an, das System der Zulagen grundlegend zu überdenken: „Die Praxis der letzten Jahre zeigt, dass Zulagen wenigstens ebenso häufig aus Anlass von Berufungen und von Bleibezusagen vergeben werden wie aufgrund von Leistungen in Forschung und Lehre in der eigenen Institution. Konjunkturen in Fächern werden häufig durch Zufälle verursacht; Marktchancen verzerren die Leistungsorientierung. Das alles ist bekannt. Hinzu kommt eine weitere Erfahrung: Mehr als notwendig, geradezu unausweichlich fördert das aktuelle Besoldungssystem das individuelle Eigeninteresse in der Professorenschaft. Die Frequenz an Berufungen und Wegberufungen hat zugenommen, und nur in einem Teil der Fälle entsteht die Fluktuation der Professorenschaft dabei aus dem Wettbewerb der Institutionen untereinander. Vielmehr wird sie häufig als schneller Weg genutzt, persönliche Zulagen zu erwirken. Angesichts der Absenkung der Grundgehälter, die das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil angreift, ist dies nicht nur legitim, sondern in hohem Maße auch verständlich.“
Dies bewertet Krause als eher schädlich für das Wissenschaftssystem in Deutschland insgesamt und für die einzelne Universität: „Die hohe Fluktuation sorgt in jedem einzelnen Fall für Unruhe: etwa unter den Studierenden, die Kontinuität in der Betreuung brauchen, sich aber darauf nicht verlassen können. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – vor allem am Anfang einer wissenschaftlichen Karriere – erleiden mit ihren begonnenen Forschungsprojekten durch Transfer an den neuen Ort Zeitverzug. Kollegen und Kolleginnen, die sich für das Kommen eines neuberufenen Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin eingesetzt haben, müssen eben begonnene Kooperationen abbrechen. Unter den Familien aller Betroffenen entsteht eine Phase der Unsicherheit. Die beträchtlichen Investitionskosten der Universität sind unter Umständen verloren.“
Wiederholt sei in diesem Zusammenhang über ein Kartell unter den Hochschulen nachgedacht worden, das zu schnelle Wechsel behindern und den Zwang, mindestens drei Jahre am Ort zu bleiben, wieder einführen würde. Dies sieht Krause nicht als Lösung an: „Nur die vollständige Reform der Zulagen kann die Balance zwischen den legitimen Interessen der Professorinnen und Professoren und den Hochschulen mit allen ihren Mitgliedern wiederherstellen, und die Bindung an die Institution stärken: Zulagen dürfen nur noch nach Leistung in der Wissenschaft vergeben werden. Sie sind zu differenzieren in Zulagen, die auf Dauer oder befristet vergeben werden; außerdem sind sie in der Höhe zu staffeln und wie bisher um Zulagen für die Wahrnehmung von besonderen Funktionen zu ergänzen. Das Ergebnis wird zwar eine geringere Spreizung zwischen den Gehältern sein - aber nicht zum Schaden des Leistungsgedankens und der Hochschulen. Solange die finanziellen Bedingungen des Wissenschaftssystems bereits die Konkurrenz zu den Gehältern im mittleren Management der Wirtschaft zur Herausforderung machen, können nur das anhaltend hohe Interesse an Forschung und Lehre, die zu wahrenden Entscheidungsfreiheiten in den Kernaufgaben des Berufs und eine damit verbundene amtsangemessene Besoldung die Antwort auf die bestehenden Fragen im System der W-Besoldung sein.“
Weitere Informationen:
Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum heutigen Urteil
Hessisches Besoldungsgesetz (HBesG) in der Fassung vom 25. Februar
1998
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Prof. Dr. Katharina Krause
Präsidentin der Philipps-Universität Marburg
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