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22.06.2012

Tiefere Einsichten

Ergebnisse von archäologischen Grabungen auf dem Areal der künftigen Universitätsbibliothek vorgestellt

Ausgrabungsarbeiten auf dem Campus Firmanei
Ein Mitarbeiter des Grabungteams auf dem Areal der ehemaligen Deutschordendesniederlassung und des künftigen "Campus Firmanei" (Pressestelle / Ellen Thun)

In der Marburger Innenstadt werden zurzeit an zwei Standorten archäologische Untersuchungen durchgeführt, die wichtige Epochen der Stadtgeschichte erhellen: Sowohl auf dem Areal des künftigen „Campus Firmanei“, auf dem bis 2016 die neue Zentrale Bibliothek der Philipps-Universität entsteht, als auch rund um die Elisabethkirche finden sich Überreste einer Deutschordensniederlassung, die bis in das 13. Jahrhundert zurückreichen. Die Ausgrabungen werden vom Sachgebiet Mittelalter- und Neuzeitarchäologie der Hessischen Landesarchäologie unter der Leitung von Dr. Christa Meiborg durchgeführt. An den Grabungen beteiligt ist die "Wissenschaftliche Baugrund-Archäologie" - kurz WIBA -unter der Ägide von Professor Dr. Claus Dobiat vom Vorgeschichtlichen Seminar der Philipps-Universität.

Während einer Pressekonferenz am 22. Juni 2012 zu den ersten Ausgrabungsergebnissen hob die Präsidentin der Universität Professorin Dr. Katharina Krause die Bedeutung der Untersuchungen hervor: „Durch den Bau der Universitätsbibliothek bietet sich die einmalige Gelegenheit, an diesem historischen Ort Grabungen durchzuführen, die sonst unmöglich gewesen wären. Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse von Frau Dr. Meiborg und ihrem Team, deren Arbeit uns tiefere Einsichten in die Vergangenheit des Ortes erlauben.“

Die hessenARCHÄOLOGIE fühle sich in Marburg gut angenommen, betonte der Hessische Landesarchäologe Professor Dr. Egon Schallmayer. „Dies liegt sicher auch an der Tatsache, dass wir hervorragende Grabungsergebnisse bieten, die in eine bedeutende Zeit führen“, erklärte er. „Hier, auf dem Gebiet der Niederlassung des Deutschen Ordens, haben wir augenscheinlich vor uns, was in den schriftlichen Quellen steht. Vor diesem Hintergrund haben solche Ausgrabungen für die Hessische Landesarchäologie einen außerordentlichen Stellenwert, denn im Verbund aller Beteiligten findet hier großartige landesgeschichtliche Forschung statt.“

Im Vorfeld des Neubaues der künftigen Zentralen Universitätsbibliothek finden seit April dieses Jahres archäologische Untersuchungen auf dem ehemaligen Klinikgelände zwischen Deutschhausstraße und Altem Botanischen Garten statt. Der südöstliche Teil des Areals, welches von den geplanten Bauarbeiten betroffen ist, gehörte bis zu dessen Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Gelände des Deutschen Ordens. Hier befanden sich der Wirtschaftshof mit Stallungen und darüber liegenden Wohnräumen, der Schmiede und der nach Süden angrenzende Nutzgarten. Basierend auf den Angaben des 1734 erstellten "Schönbornplans“, der die Wirtschaftsgebäude der Deutschordensniederlassung im Bereich der ehemaligen HNO-Klinik verzeichnete, wurden auf diesem Areal kleinere Flächenuntersuchungen und auf dem übrigen Baufeld baubegleitende Suchschnitte (bisher insgesamt acht Sondagen) vorgenommen.

Zutage traten umfangreiche Schuttauffüllungen in den südlichen Teilen des Geländes. In den nördlichen Bereichen waren die alten Bodendenkmäler durch fehlende Auffüllungen kaum geschützt, so dass die Reste der alten Bebauung bedingt durch moderne Bodeneingriffe (vor allem Versorgungsleitungen) nur noch schlecht erhalten sind. Sie wurden jedoch genau dort vorgefunden, wo die der "Schönbornplan" sie angibt. Die beteiligten Archäologen konnten nicht nur die dort eingezeichneten Gebäude nachweisen, sondern auch Umbauten und bisher unbekannte Mauerzüge, deren Funktion noch zu klären sein wird. Außerdem wurden zahlreiche Keramikscherben vorgeschichtlicher Machart aufgefunden, die auf eine wahrscheinlich späteisenzeitliche Ansiedlung in unmittelbarer Nähe hinweisen. Künftige Grabungen in tiefer gelegenen, älteren Schichten werden hier vermutlich weitere Erkenntnisse liefern.

Fundamente des Hospitals
Dr. Christa Meiborg (li.) und Marianne Gütter vom Grabungsteam erläutern die Bedeutung der Fundamentreste östlich der Elisabethkirche (Pressestelle / Ellen Thun)

Eine herausragende Entdeckung machten die Archäologen bei Ihren Grabungen östlich der Elisabethkirche: Nachdem in den vergangenen Jahren bereits rund um die Kirche 200 Gräber gefunden worden waren, stieß das Team um Christa Meiborg nun auf Fundamentreste, die vermutlich zu einem im 12. Jahrhundert von der Heiligen Elisabeth gegründeten Hospital gehörten. Waren die Historiker bisher von einem reetgedeckten, eher kleinen Lehmbau ausgegangen, so erlebten sie hier eine Überraschung. Die vorgefundenen Mauerreste lassen auf ein 27 Meter langes, Schiefer gedecktes Steingebäude schließen. Möglicherweise handelt es sich hierbei um den eigentlichen Hospitalbau in dem Kranke und Alte gepflegt wurden.

In den kommenden Monaten bis  Oktober dieses Jahres werden sich die Archäologen bei ihren Grabungen auf ein Areal von rund 800 Quadratmetern nordöstlich der Elisabethkirche konzentrieren. Zwischen der Ostseite des heute noch vorhandenen „Deutschen Hauses“ und einem noch bestehenden früheren Wirtschaftsgebäude der Deutschordensniederlassung erwarten die Wissenschaftler die Fundamente eines früheren Wohngebäudes , der sogenannten „Alten Komtuerei“ zu finden, die erst 1883 abgerissen wurde.

Auch in diesem Jahr informieren großformatige Infotafeln am Bauzaun über die Ergebnisse der vergangenen Untersuchungen und über den Fortgang der diesjährigen Kampagne. Außerdem werden in einem zweiwöchigem Abstand öffentliche Führungen für die interessierten Bürger angeboten.

Kontakt

Dr. Eveline Grönke
hessenARCHÄOLOGIE
Tel.: 0162-7790946
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