26.09.2012
Verhaltensexperimente im Fachwerkidyll
Marburger Wissenschaftler untersuchten, wie unebenes Gelände die Blickbewegungen beeinflusst
Realitätstest für die Neurophysik: Fußgänger richten Kopf und Augen umso stärker nach unten, je unregelmäßiger das Gelände wird. Das haben Wissenschaftler der Philipps-Universität in einem Feldversuch nachgewiesen, wie sie in der aktuellen Online-Ausgabe des Fachblatts „Experimental Brain Research“ berichten. Der überwiegend gesenkte Blick wird durch rege Augenbewegungen ausgeglichen, mit denen man die Umgebung weiterhin im Blick behält, fanden die Neurophysiker Bernard Marius ’t Hart und Professor Dr. Wolfgang Einhäuser heraus.
„Dies ist die erste quantitative Erhebung, die unter lebensnahen Bedingungen untersucht, wie sich die Bewältigung von Hindernissen auf die Blickrichtung auswirkt“, erklären die Autoren. Um vergleichen zu können, wie sich Passanten in unterschiedlichem Gelände orientieren, machten sich die Experimentatoren eine Besonderheit der Marburger Altstadt mit ihrem mittelalterlichen Gepräge zunutze: An der Straße „Hirschberg“ verlaufen, getrennt durch einen Handlauf, unregelmäßige Stufen parallel zu einem abschüssigen Fußweg mit Kopfsteinpflaster. Somit gibt es in derselben Umgebung zwei Wege mit unterschiedlichen Anforderungen.
Die Probanden wurden angewiesen, beim Auf- und Abgehen am Hirschberg entweder auf der linken oder auf der rechten Seite des Geländers zu gehen, so dass sie automatisch die Stufen oder das Kopfsteinpflaster benutzten. Währenddessen zeichneten die Wissenschaftler die Augen- und Kopfbewegungen der Testpersonen mit einem neuartigen, tragbaren Messgerät auf.
Dabei ergab sich eine Reihe von Unterschieden, je nachdem, wieviel Aufmerksamkeit das Terrain erfordert. Stufen sind offenbar schwieriger zu bewältigen als abschüssiges Pflaster: Auf der Treppe neigten die betreffenden Probanden ihren Kopf stärker; außerdem hoben sie ihren Blick öfter und schauten dabei weiter als auf dem Kopfsteinpflaster. Da die Umgebung beider Wege vollkommen gleich ist und diese sich somit nur aufgrund der Bodenbeschaffenheit unterscheiden, muss das voneinander abweichende Verhalten auf der implizierten Aufgabenstellung beruhen, Geländeunebenheiten auszugleichen.
„Dies ist die erste Studie, die den Effekt des unterschiedlichen Terrains zeigt, ohne dass die Umgebung wechselt“, erläutert Erstautor ’t Hart. „Das war nur möglich, weil die beiden parallelen Wege am Hirschberg vorhanden sind.“ Derartige Experimente seien geeignet, Laborstudien zu ergänzen, betonen die Autoren.
Online-Vorabveröffentlichung:
Bernard Marius ’t
Hart, Wolfgang Einhäuser: „Mind the step: complementary effects of an
implicit task on eye and head movements in real-life gaze allocation“,
Exp Brain Res 2012, DOI: DOI 10.1007/s00221-012-3254-x,
URL:
http://www.springerlink.com/content/k8k0137u5637h17q/
Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Wolfgang Einhäuser,
Fachgebiet Neurophysik
Tel.: 06421 28-24164
E-Mail:
wet@physik.uni-marburg.de
Internet:
www.uni-marburg.de/fb13/forschung/neurophysik/gruppe-einhaeuser
Bernard Marius ’t Hart,
Fachgebiet Neurophysik
Tel.: 06421 28-24176
E-Mail:
thart@staff.uni-marburg.de