11.06.2013
Das Ende der Verdrängung
Buch über NS-Vergangenheit des Bundesjustizministeriums vorgestellt
„Vor uns liegt eine bedeutende materielle und mentale Investition für Gegenwart und Zukunft“ – für den Publizisten Dr. h.c. Ralph Giordano ist „Die Rosenburg“, eine Bestandsaufnahme der NS-Vergangenheit des Bundesjustizministeriums (BMJ), „im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn ein wahres Schwergewicht“. Das Buch ist am Montag, dem 10. Juni 2013, in Beisein von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Berlin vorgestellt worden.
Herausgeber sind der Marburger Strafrechtsprofessor Dr. Christoph Safferling und der Potsdamer Professor für Neuere Geschichte Dr. Manfred Görtemaker. Seit 2012 leiten sie gemeinsam die Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim BMJ zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit (UWK-BMJ). Die „Rosenburg“ war von 1950 bis 1973 der Bonner Sitz des Bundesjustizministeriums; im gleichnamigen Buch wird nun der Frage nach personellen Kontinuitäten beim Übergang vom „Dritten Reich“ zur Bundesrepublik Deutschland ebenso nachgegangen wie zentralen Themen der Rechtspolitik, zum Beispiel der Verfassungsentwicklung nach 1948/49, der Gesetzgebung in der NS-Zeit wie in der Bundesrepublik und auch der strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Justizverbrechen in der Nachkriegszeit.
Von Anfang an wurde die Öffentlichkeit durch Symposien in den Prozess der Aufarbeitung miteinbezogen – damit sei ein Pfad beschritten worden, der vom Üblichen abweiche, betonte Leutheusser-Schnarrenberger bei der Buchpräsentation. Das Konzept des offenen Diskurses sei für alle Seiten von Vorteil; die Forscher hätten durch Reaktionen der Öffentlichkeit neue Impulse erhalten, sagte die Ministerin.
„Wir suchen die Öffentlichkeit, wir suchen die politische Diskussion“, stimmte Safferling zu. Seinen Marburger Standort, fernab nicht nur vom Potsdamer Kollegen, sondern gerade auch vom Bundesjustizministerium, sieht er dabei nicht als Nachteil: „Ein bisschen Abstand von der Berliner Macht ist vielleicht auch nicht verkehrt.“ Safferling zieht aus der intensiven Beschäftigung mit der Geschichte der bundesdeutschen Justiz die Konsequenz, „radikale Aufklärung“ zu betreiben – vor allem gegenüber seinen Studierenden, da man als Wissenschaftler immer eine kritische Distanz zum Gesetzgeber wahren müsse.
Das Projekt wird die Kommission weiter rund zwei Jahre lang beschäftigen. Zu den Fragen, die noch genauer untersucht werden müssen, gehört laut Mitherausgeber Görtemaker, welchen Einfluss die personelle Kontinuität auf die gesetzgeberische Arbeit in der Bundesrepublik hatte. Man wolle keine Einzelfälle heraussuchen, sondern sehr genau hinschauen, erklärte der Historiker.
Eine solche Genauigkeit hätte sich der 90-jährige Giordano schon
früher gewünscht. In seiner Rede zitierte er einen zentralen Satz aus
„Die Rosenburg“: „Das westdeutsche Justizwesen ist in den drei
Jahrzehnten nach dem Krieg in ganz erheblichem Maße von einstigen
Parteigängern des NS-Regimes bestimmt worden.“ Ecksätze wie dieser,
„die schnörkellos eine historische Schande beim Namen nennen“, hätten
ihn veranlasst, die Aufgabe der Buchpräsentation zu übernehmen, denn er
sei in dem Werk auf einen Ton gestoßen, auf den er lange vergeblich
gehofft habe: „Konfrontation mit konkreten Handlungen; politische und
moralische Unbestechlichkeit, innere Positionen, die unberührt sind vom
Dunst der Täter- und Mittäterschaft – das Ende der Verdrängung.“
(Pressetext: Sabine Best)
Bibliografische Angaben:
Manfred Görtemaker, Christoph Safferling (Hg.): Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit – eine Bestandsaufnahme, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht), 1. Auflage 2013, ISBN 978-3-525-30046-6, 373 Seiten, 49,99 Eur
Weitere Informationen:
Dr. Albrecht Kirschner / Florian Hansen,
Geschäftsstelle der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim
Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der
NS-Vergangenheit
E-Mail:
uwkbmj@staff.uni-marburg.de
Internet:
www.uwk-bmj.de
Verlagsankündigung: http://www.v-r.de/de/title-0-0/die_rosenburg-1010833/