22.01.2015
Verantwortungsvolles Forschen
Philipps-Universität gibt sich Regeln für den Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken
Die im Dezember 2014 vom Senat der Philipps-Universität Marburg beschlossenen „Grundsätze und Verfahrensregeln für den verantwortungsvollen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken“ sind am 21. Januar offiziell in Kraft getreten. Die Universität reagiert mit diesem Regelwerk auf die spürbare Verunsicherung, die die zunehmende Komplexität der Forschungsfragen und -methoden sowie das Wachstum an Drittmittelforschung in der Öffentlichkeit hervorrufen. Sie greift damit in einem umfassenden Sinne auch die Forderungen Studierender auf, die Forschung auf ausschließlich friedliche und zivile Zwecke eingrenzen wollten.
In einem intensiven Diskussionsprozess hat sich die Universität darauf verständigt, dass Forschungsverbote, die der grundgesetzlich gebotenen Forschungsfreiheit zuwiderlaufen, kein geeignetes Mittel sind, die Reflexion über die notwendige Balance von Freiheit und Verantwortung auf allen Ebenen der Universität zu stärken. Die Reichweite der „Grundsätze“ erstreckt sich daher vom Studium bis hin zur international avancierten Spitzenforschung, indem Fragen der Forschungsethik in der Ausbildung etabliert und Entscheidungshilfen im Forschungsprozess bereitgestellt werden. Antrieb für die mehrere Monate dauernde Debatte, die der Verabschiedung vorausging, war auch die Auseinandersetzung mit der doppelten Verwendungsmöglichkeit von Forschungsergebnissen zu nützlichen wie zu schädlichen Zwecken (sog. Dual-Use-Problematik). Die Philipps-Universität stellt sich mit den neuen Regelungen der Herausforderung, den schmalen Grat zwischen der aus guten Gründen gewährten Forschungsfreiheit und möglichen Beschränkungen von Forschung zu beschreiten. Dies betrifft vor allem jene wenigen Fälle, in denen Forschungsergebnisse ohne aufwendige Umsetzungs- und Anwendungsprozesse zu spezifischen Gefahren oder großen Schäden führen können (Dual Use of Concern – DURC). Mit der entschiedenen Empfehlung, dass Forschungsergebnisse in der Regel zu veröffentlichen sind, bekennt sich die Universität zum freien Informationsaustausch, der Transparenz erzeugt, der Kontrolle und der Qualitätssicherung von Forschung dient und einen wesentlichen Faktor für die Verbreitung und Generierung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse darstellt.
Marburger Wissenschaftler werden bei ihren Entscheidungen mit verschiedenen Instrumenten unterstützt. Im Mittelpunkt steht dabei die Einrichtung einer hochschulinternen Kommission „Forschung und Verantwortung“. Deren Aufgabe ist es, die Universitätsmitglieder und ihre Organe in ethischen Zweifelsfragen und bei der Risikominimierung zu beraten, bei Meinungsverschiedenheiten zu vermitteln und Empfehlungen für die Durchführung von Forschungsprojekten zu geben. Die Kommission soll auch den interdisziplinären Diskurs insbesondere bei neuen und ethisch sensiblen Forschungsgebieten anregen. Alle Forscher können sich an die Kommission wenden, um prüfen zu lassen, ob ein Vorhaben den neuen „Grundsätzen und Verfahrensregeln“ der Universität entspricht. Wenn Wissenschaftler absehen können, dass ihre Forschung Risiken birgt, sind sie aufgefordert, diese zusammen mit den Maßnahmen zur Risikominimierung und einer Nutzenabwägung zu dokumentieren und die Kommission darüber zu informieren. Bei Forschung mit Drittmitteln prüft zunächst das Dekanat, ob potenzielle Risiken im Fachbereichsrat zu erörtern sind. Auch hier ist die Kommission zu informieren und kann zur Beratung angerufen werden.
Den verantwortungsvollen Umgang mit Forschung will die Philipps-Universität aktiv fördern. Es sind Fortbildungsveranstaltungen für Nachwuchswissenschaftler, Schulungen für neuberufene Professoren und neue Mitarbeiter und öffentliche Veranstaltungen geplant. Um das Verantwortungsbewusstsein bereits bei den Studierenden zu stärken, wird das Thema auch in den Curricula der Studiengänge verankert.
Bei der Ausarbeitung konnte sich die vom Senat beauftragte Arbeitsgruppe auf die Empfehlungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung stützen, die Leopoldina und Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unter dem Titel „Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung“ im Juni 2014 vorgelegt haben. „Die Philipps-Universität Marburg ist davon überzeugt, dass die Wissenschaft selbst in der Wahrnehmung ihrer Forschungsfreiheit über die nötige Kompetenz verfügt, Risiken zu erkennen und Verantwortung zu übernehmen“, sagt die Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause. „Die intensive, immer konstruktive Diskussion der letzten Monate bestätigt diese Auffassung. Die Marburger Universität ist daher die erste in Deutschland, die die Empfehlungen von Leopoldina und DFG einem Praxistest unterziehen wird.“
Weitere Informationen:
Die „Grundsätze und Verfahrensregeln für den verantwortungsvollen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken an der Philipps-Universität Marburg“ im Wortlaut.
Kontakt
Prof. Dr. Katharina Krause, Präsidentin der Philipps-Universität
E-Mail