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08.11.2015

50 Jahre Geschichte der Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg

Institut leistet wichtigen Beitrag zur Arzneimittelentwicklung

Vor einem halben Jahrhundert, im November 1965, gründete der Pharmaziehistoriker Rudolf Schmitz (1918-1992) das Institut für Geschichte der Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg. Im deutschsprachigen Raum ist es das einzige Institut seiner Art und über die Landesgrenzen hinaus international bekannt. Zur Feier des Jubiläums lud der heutige Institutsdirektor, Prof. Dr. Christoph Friedrich, zahlreiche Kollegen, Weggefährten und Kooperationspartner zu einer Festveranstaltung in die Aula der Alten Universität ein.

„Als ausgesprochenes Brückenfach zwischen Natur- und Geisteswissenschaften untersucht die Pharmaziegeschichte nicht nur rein historische Fragestellungen, sondern leistet auch einen Beitrag zur modernen Arzneimittelforschung“, sagte Institutsdirektor Prof. Dr. Christoph Friedrich, der selbst Pharmazeut und Historiker ist.

Das Institut für Geschichte der Pharmazie umfasst die nicht-experimentellen Disziplinen des Fachs und bietet Absolventen naturwissenschaftlicher Fächer – insbesondere Pharmazeuten – eine dreisemestrige wissenschaftshistorische Weiterbildung als Vorbereitung auf eine sich anschließende pharmazie- oder naturwissenschaftshistorische Dissertation. Ausdruck für das breit angelegte Forschungsfeld sind die bislang über 190 am Institut abgeschlossenen Dissertationen.

Derzeit forschen rund 40 überwiegend externe Doktorandinnen und Doktoranden am Institut. Sie befassen sich mit der Entwicklungs- und Problemgeschichte der Naturwissenschaften, speziell der Pharmazie und ihrer Grundlagenfächer Chemie und Botanik. Im Bereich der Pharmaziegeschichte bilden darüber hinaus die Disziplin- und Arzneimittelgeschichte, die Entstehung und Entwicklung des europäischen Apothekenwesens sowie die Institutions- und Kulturgeschichte thematische, die Frühe Neuzeit und das 18. bis 21. Jahrhundert zeitliche Schwerpunkte.

Diese Schwerpunkte wurden durch das Wirken der bisherigen Institutsdirektoren geprägt. Gründer Rudolf Schmitz hatte damit begonnen, das Fach als Wissenschaftsgeschichte zu betreiben. Über die Bedeutung der Pharmaziegeschichte als eigene Disziplin sagte er 1957 in seiner Antrittsvorlesung, dass es in den Naturwissenschaften, also auch in der Pharmazie, durchaus möglich sei, „ohne größere Kenntnisse geschichtlicher Zusammenhänge eine Aufgabe experimentell zu lösen“. Ob man damit aber zu dem geistigen Kern einer Sache und zu einer richtigen Einschätzung der eigenen Leistung und der Wichtigkeit des behandelten Problems vordringe, bezweifelte er. Das Hochschulfach Geschichte der Pharmazie solle zur humanistischen Erziehung der Studierenden der angewandten Wissenschaft Pharmazie beitragen.

Schmitz‘ Nachfolger, der Klassische Philologe und Naturwissenschaftshistoriker Fritz Krafft, trat sein Amt 1988 an. Er orientierte das Fach stärker an den Geisteswissenschaften und setzte damit weitere Akzente. Er betrieb Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften in der Frühen Neuzeit und in der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch zur Naturtheologie und zum christlichen Sinnbild „Christus als Apotheker“.

Christoph Friedrich knüpft an die Arbeit seiner Vorgänger an. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Quelleneditionen, beispielsweise des Briefwechsels von Johann Bartholomäus Trommsdorff, einem der bekanntesten Apotheker des 18./19. Jahrhunderts, sowie des Nachlasses von Emil Behring, die im Rahmen von größeren DFG-Projekten bearbeitet wurden. Gemeinsam mit dem Heidelberger Pharmaziehistoriker Wolf-Dieter Müller-Jahncke führte er die von Rudolf Schmitz begonnene „Geschichte der Pharmazie“ für den Zeitraum von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart fort. Mit Prof. Dr. Sabine Anagnostou arbeitete Friedrich an einem großen, mit 418.000 Euro geförderten Projekt über traditionelle Heilpflanzen als potenzielle Wirkstofflieferanten. Außerdem gehören die Entwicklung der Pharmazie in Diktaturen, speziell in der NS-Zeit und in der DDR, sowie die Erforschung von Apothekerbiographien aus verschiedenen Jahrhunderten (darunter auch August Oetker, Henri Nestlé, Georg Trakl oder Carl Leverkus) zu seinen Arbeitsgebieten. Für sein wissenschaftliches Lebenswerk wurde Christoph Friedrich in diesem Jahr mit der renommierten „Carmen Francés-Medaille“ der Académie Internationale d’Histoire de la Pharmacie ausgezeichnet.

Aus dem Marburger Institut sind viele international anerkannte Pharmaziehistoriker hervorgegangen, wie der Schweizer Pharmaziehistoriker Prof. Dr. François Ledermann hervorhob. So ist Sabine Anagnostou zurzeit amtierende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP). Sie sprach in ihrem Festvortrag darüber, dass beispielsweise die Erforschung mittelalterlich-arabischer Quellen wichtige Anregungen für die moderne Pflanzenheilkunde geben. Das Potenzial historischer Arzneipflanzenanalyse erklärte sie am Beispiel des Weihrauchs, aus dem heute moderne entzündungshemmende Therapeutika entwickelt werden können.

Der Vortrag des Medizinhistorikers Prof. Dr. Florian Steger aus Halle befasste sich mit Arzneimittelstudien westlicher Pharmaunternehmen in der DDR. Die Marburgerin Dr. Ulrike Enke berichtete über das DFG-Projekt zur Aufbereitung des Nachlasses von Emil von Behring ( Behring-Nachlass digital ), bei dem Pharmazie- und Medizinhistoriker eng zusammengearbeitet haben.

Mit einem Stipendium der Marburger „von Bülow-Studienstiftung“ wurden während der Jubiläumsveranstaltung, die zugleich auch „Tag der Pharmazie“ der DGGP war, die Pharmazie-Studierenden Nathalie Nölker, Olga Pelikh, Steffen Florin Hartmann und Lukas Hinder ausgezeichnet. Die vier Preisträger können damit Lehr- und Studienmaterialien für ihr Hauptstudium an der Philipps-Universität anschaffen.

Weitere Informationen:

Das Institut für Geschichte der Pharmazie

Kontakt

Prof. Dr. Christoph Friedrich, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Geschichte der Pharmazie an der Philipps-Universität
Tel.: 06421/28-22829
E-Mail