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01.06.2015

100 Jahre Physik am Renthof 5

Philipps-Universität feierte das Jubiläum mit einem Festkolloquium

Der Fachbereich Physik der Philipps-Universität Marburg feierte am 28. Mai das 100-jährige Jubiläum des Standorts Renthof 5 in der Marburger Altstadt. Das 1915 eingeweihte Gebäude im neubarocken Baustil galt zu jener Zeit als eines der modernsten physikalischen Institute in Deutschland. Die Vorträge beim Festkolloquium mit rund 150 Gästen beleuchteten die Entstehungsgeschichte des Hauses, seine Architektur und gaben einen Ausblick auf die Zukunft der Physik-Standorte in Marburg.

Mit dem Neubau für das damalige Physikalische Institut war vor allem der Name Franz Richarz verbunden. „Als er 1901 nach Marburg berufen wurde, fand er ein völlig unzureichendes Gebäude am Renthof 6 vor, das weder der wachsenden Studierendenzahl noch den technischen Anforderungen für die Forschung gerecht wurde. Es fehlten beispielsweise erschütterungsfreie und gleichzeitig trockene Arbeitsräume, in denen die Wissenschaftler mit verfeinerter Messtechnik arbeiten konnten“, erläuterte Dr. Katharina Schaal vom Universitätsarchiv Marburg. Wegen des festen Felsengrundes fiel die Wahl auf das Gelände des heutigen Renthof 5. Nachdem Richarz 1905 seine Ideen für einen Neubau beim zuständigen preußischen Ministerium eingereicht hatte, dauerte es weitere zehn Jahre bis zur Fertigstellung. Zu dem 1912 bis 1914 errichteten und Ostern 1915 bezogenen Neubau schrieb Prof. O.F.A. Schulze 1927 in seiner Festschrift zum 400-Jahre-Jubiläum der Philipps-Universität: „Wenn auch gegenüber dem ursprünglichen Neubauprojekt die Ausführung in etwas engeren Grenzen gehalten ist, so stellt doch der jetzige Neubau zweifellos eines der schönsten und besteingerichteten modernen physikalischen Institute dar.“

„Die Bauplanung für den Renthof 5 war Chefsache“, berichtete Ulrich Klein vom Freien Institut für Bauforschung und Dokumentation in Marburg. Der architektonische Entwurf stammte von dem leitenden preußischen Baubeamten Georg Thür, der damals die meisten Hochschulbauten entworfen hatte. Er entwarf vergleichbare Universitätsbauten unter anderem in Göttingen, Potsdam-Babelsberg, Breslau, Kiel und Bonn. „Sein Baustil schwankte zwischen Heimatschutzarchitektur und Neubarock“, erklärte Klein. „Beim Renthof 5 orientierte er sich allerdings an dem von Friedrich Ostendorf entworfenen Physikalischen Institut in Heidelberg. Der neubarocke Bau war 1913 eingeweiht worden.“ Die Pläne von Georg Thür für den Renthof 5 befinden sich im Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin.

Wo befindet sich die Marburger Physik heute? Professor Dr. Bruno Eckhardt erläuterte die Entwicklung der Physik-Standorte. Herzstück sind nach wie vor das Gebäude am Renthof 5 und die anliegenden Gebäude. Dort forschen heute Wissenschaftler/innen aus den Fachgebieten Oberflächenphysik, Optik und Didaktik der Physik. Zum Gebäude gehören auch ein Elektronik-Labor, die Feinmechanische Werkstatt sowie Hörsäle. In unmittelbarer Nachbarschaft arbeiten in weiteren Gebäuden Forschergruppen zur Physik Komplexer Systeme, Vielteilchenphysik, Biophotonik, Molekularen Festkörperphysik sowie zu Theoretischer und Experimenteller Halbleiterphysik. Auch die Physikalische Sammlung, die Gerling-Sternwarte und Praktikumsräume sind auf dem Gelände. Weitere Standorte der Physik befinden sich auf den Lahnbergen. Die Neurophysiker/innen forschen in der Nachbarschaft zur Biologie. Im Wissenschaftlichen Zentrum für Materialwissenschaften arbeiten Physiker/innen eng mit Chemiker/innen zusammen. Forscher/innen, die sich mit der Physik biologischer Systeme beschäftigen, sind außerdem Teil des LOEWE-Zentrums SYNMIKRO, für das auf den Lahnbergen in Zukunft ein weiterer Neubau vorgesehen ist.

Die Zukunft der Physik-Standorte war das Thema der Universitätspräsidentin Professorin Dr. Katharina Krause. In ihrem „Blick in die Kristallkugel“ sieht sie klar, dass der Fachbereich Physik seine Zukunft auf den Lahnbergen haben wird. „Der 2009 aufgestellte Masterplan für den Campus Lahnberge gilt bis heute“, sagt Krause. „Das Baufeld für das Physik-Gebäude in der Nachbarschaft zur Mathematik und Informatik ist darin festgelegt worden.“ Unklar ist jedoch, wann der Neubau verwirklicht werden kann. „Sicher nicht vor dem Jahr 2025“, prognostiziert die Uni-Präsidentin. Im Investitionsprogramm des Landes Hessen ist ein Neubau Physik bislang nicht vorgesehen. „Ein Grund dafür ist, dass das Physik-Gebäude am Renthof 5 immer noch tragfähig ist.“

Der Standort in der Marburger Altstadt mit Buchhandlungen und Cafés in der Nähe hat aus Sicht von Prof. Dr. Dieter Fick, der vor 40 Jahren an den Fachbereich Physik kam, einen besonderen Charme, den er sehr geschätzt habe. „Bei einem Umzug bleiben Traditionen zurück“, sagte der Emeritus. Um dem entgegenzuwirken, schenkte er dem Fachbereich ein Porträtbild von Albert Einstein, einen Siebdruck von Josef Scharl aus dem Jahr 1946 mit einer Original-Unterschrift des Physik-Nobelpreisträgers.

„Die Wissenschaftskultur zur Bauzeit des Marburger Physikalischen Instituts am Renthof 5 war von einem Umbruch geprägt“, sagte der Wissenschaftshistoriker Prof. Dr. Christoph Meinel aus Regensburg beim Festkolloquium. Es habe ein beispielloser technischer Aufschwung stattgefunden, der zu einem engen Verhältnis von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat geführt habe. Erkenntnisoptimismus und Positivismus hätten die Zeit geprägt. Auch der Marburger Physiker Franz Richarz war ein Wissenschaftler, der auf „positive“, messbare Befunde aus Experimenten gesetzt habe. „Doch in dieser Zeit mehrten sich auch die Zweifel an dieser Form der Erkenntnisgewinnung“, sagte Meinel. Ab 1910 habe sich eine neue Physik entwickelt, eine Bewegung, die beispielsweise die Quanten- und Relativitätsphysik hervorgebracht hat.

Weitere Informationen:

Georg Thür: Physikalisches Institut der Philipps-Universität Marburg (Grundriss und Lageplan)
http://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de/index.php?set=1&p=61&D1=Th%FCr&D2=Georg&D3=Physikalisches+Institut+der+Philipps-Universit%E4t+Marburg

Kontakt

Prof. Dr. Reinhard Noack, Dekan des Fachbereichs Physik
Tel.: 06421/28-21315
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