19.05.2017
Hessischer Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre geht an studentisches Beobachterteam von Strafprozessen
Auszeichnung für die interdisziplinäre studentische Initiative „Trial-Monitoring Programme“
Eine besondere Form wissenschaftlicher Feldforschung hat den Hessischen Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre gewonnen: In der Kategorie „Studentische Initiativen“ hat das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst das Trial-Monitoring-Team der Philipps-Universität Marburg ausgezeichnet. Das Preisgeld beträgt 10.000 Euro und kann für Zwecke des Projekts ausgegeben werden. Die Marburger Studierenden Tobias Römer, Ronja Seggelke, Alexander Benz, Nicolai Bülte und Paco Pawolleck haben den Preis am 18. Mai 2017 in Wiesbaden aus den Händen des Hessischen Wissenschaftsministers Boris Rhein entgegengenommen.
Minister Rhein würdigte die Preisträger, den Anwendungsbezug und die hohe gesellschaftliche Relevanz des Projekts. „Mit dieser Auszeichnung für das Monitoring-Zertifikat wird deutlich, wie Studierende ihre (Aus-)Bildung auf qualitativ höchstem Niveau eigenständig gestalten können“, freut sich Prof. Dr. Evelyn Korn, Vizepräsidentin für Studium und Lehre der Philipps-Universität. „Die Monitors verbinden Theorie und Praxis in hervorragender Weise und leisten einen Beitrag zur Forschung. Hier sind alle Wünsche an gute Lehre erfüllt.“
Einblick in die Rechtspraxis
Die Feldforschung geschieht im Gerichtssaal. Studierende verschiedener Fachbereiche werden zu Prozessbeobachtern ausgebildet und dokumentieren international relevante Strafprozesse. Das deutschlandweit einmalige „Trial-Monitoring Programme“ ist am Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse angesiedelt (ICWC, International Research and Documentation Centre for War Crimes Trials). Beratend steht dem studentischen Organisationsteam die Strafrechtsprofessorin Stefanie Bock zur Seite.
Das Projekt hat laut Prof. Dr. Stefanie Bock zwei Ziele. Allgemein gesprochen dient eine objektive und transparente Prozessbeobachtung der Wahrung und Sicherung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze. Darüber hinaus ergeben sich hieraus interessante Ausbildungsinhalte. „Den Studierenden bietet sich frühzeitig die Gelegenheit, einen Gerichtssaal von innen zu sehen und einen Einblick in die Rechtspraxis zu erhalten“, sagt Stefanie Bock.
Die Prozessbeobachter achten im Verfahren beispielsweise auf Transparenz, Fairness und Verbesserungsmöglichkeiten. Dabei gehen sie strikt wissenschaftlich nach objektiven Kriterien vor. Sie sind unabhängig, greifen also nicht in den Prozessablauf ein, und schärfen die eigene Kompetenz. Begleitend zu einem Strafprozess eignen sie sich das nötige Wissen im Strafrecht, aber auch zu den zugrunde liegenden Konflikten – von Syrien über Ruanda bis Kambodscha – an.
Projekt lebt vom interdisziplinären Austausch
Mit jedem Semesterstart suchen die drei leitenden Projektverantwortlichen Alexander Benz, Paco Pawolleck und Ronja Seggelke interessierte Studierende aller Fachrichtungen für die Beobachtungsvorhaben. „Grundsätzlich gibt es immer einen Einführungsworkshop für die Beobachter sowie Vorlesungen zum Kontext etwa im Völkerstrafrecht“, erklärt Alexander Benz, Jurastudent im 9. Semester. „Die Juristen steuern das Fachwissen und Prozesswissen bei, die Konfliktforscher den historischen und gesellschaftlichen Kontext“, berichtet Ronja Seggelke, die im 10. Semester Jura studiert. „Das Projekt lebt vom Austausch und Input der verschiedenen Disziplinen.“
Seit Beginn des Monitoring-Projekts im Jahr 2010 unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Safferling beobachteten die Teams beispielsweise den in Frankfurt verhandelten Völkermordprozess gegen einen ruandischen Bürgermeister. Unterstützt vom Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz konnten seit 2013 zudem acht Marburger Studierende als Prozessbeobachter nach Kambodscha reisen. Seit den Anfängen haben die Teams zudem fünf weitere Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland wissenschaftlich begleitet und dokumentiert.
Reports und Analysen sind öffentlich zugänglich
Ein Beobachterteam besteht in der Regel aus vier bis fünf Studierenden, die einen Prozess begleiten. Sie sitzen im Verhandlungsraum und dokumentieren das Prozessgeschehen möglichst detailliert. Ihre Notizen verdichten sie später zu Tagesberichten und weiteren Reports. Diese bilden die Grundlage weiterer Analysen und werden zudem der interessierten Öffentlichkeit online zur Verfügung gestellt. Die sich in den Prozessen stellenden Rechtsfragen werden zudem in den monatlichen Projektgruppentreffen intensiv diskutiert. „In einem Verfahren gegen einen Syrienheimkehrer, der im Kampfgebiet Leichen geschändet haben soll, kam es zum Beispiel entscheidend darauf an, ob auch die Toten durch das Völkerstrafrecht geschützt sind, oder ob dies nur für die Lebenden gilt. Das Oberlandesgericht erstreckte den Strafrechtsschutz auf die Toten – ein Ergebnis, das auch die Monitors überzeugte“, berichtet Prof. Bock.
Spannend findet Betreuerin Prof. Stefanie Bock die juristischen Fragen, die sich aus den Analysen der Studierenden ergeben. Etwa: Ob und inwieweit das deutsche Strafprozessrecht für Kriegsverbrecherprozesse geeignet ist? Welcher Reformen es möglicherweise bedarf? Und auch, wieso solche Prozesse immer besonders lang dauern?
Seit diesem März beobachten die Studierenden am Oberlandesgericht Frankfurt den Fall von Özkan C., dem neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen wird.
Weitere Informationen:
Monitoring-Projekt am Forschungs- und Dokumentationszentrums für Kriegsverbrecherprozesse www.uni-marburg.de/icwc/monitoring
Kontakt
Prof. Dr. Stefanie Bock
Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht
Institut für Kriminalwissenschaften am Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg
Tel.:
06421/ 28-23199
E-Mail