13.06.2017 Die Reformation als europäisches Bildungsereignis
Festveranstaltung im Landgrafenschloss – Ausstellung zu Kirchenburgen in Siebenbürgen
In einer Festveranstaltung im Landgrafenschloss Marburg würdigten Vertreter aus Universität, Kirche, Stadt und Landespolitik die Bedeutung der Reformation für die Entwicklung des Bildungswesens und die schon lange bestehende Verbindung zwischen Marburg und Hermannstadt in Siebenbürgen.
Die Reformation des frühen 16. Jahrhunderts wirkte weit über Mitteleuropa hinaus. Im Zentrum standen Personen wie Martin Luther und Orte wie die Stadt Marburg mit ihrem Landgrafen Philipp sowie die von ihm gegründete Universität. „Doch die Ausstrahlung reichte bis ins heute rumänische Siebenbürgen“, sagte Prof. Dr. Alexander Lorz, Kultusminister des Landes Hessen, bei der Festveranstaltung im Marburger Landgrafenschloss. Die Veranstaltung befasste sich mit der europaweiten Wirkung der Reformation und insbesondere dem Schauplatz Siebenbürgen. Schirmherr der Veranstaltung war der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier.
„Reformation ist ohne Bildung nicht denkbar“, konstatierte Lorz. Das verdeutlichte der Marburger Kirchenhistoriker Prof. Dr. Wolf-Friedrich Schäufele: Die Reformatoren betonten, dass der Mensch direkt vor Gott stehe, ohne die Vermittlung durch Priester und die römisch-katholische Kirche. Dies erforderte aber zweierlei. Erstens eine mündige Gemeinde und zweitens akademisch geschultes Personal. Landgraf Philipp der Großmütige aus Marburg hat dies erkannt, die Marburger Universität schon zehn Jahre nach Luthers Thesenanschlag gegründet und das Schulwesen gefördert. „Die Universität hatte zunächst die Aufgabe, Juristen, Richter, Ärzte und Pfarrer akademisch auszubilden. Das hat Hessen in seiner Staatsbildung geprägt und verändert“, erklärte die Präsidentin der Philipps-Universität, Prof. Dr. Katharina Krause.
Hierin glichen sich die verschiedenen Reformatoren, ob sie nun in Konkurrenz standen oder kooperierten: Sie trieben das Bildungswesen voran. In engem Kontakt zu Luther stand beispielsweise Johannes Honterus (1498 bis 1549), der die Reformation etwa in den Siebenbürgischen Hauptorten Kronstadt und Hermannstadt (der heutigen Partnerstadt von Marburg) einleitete. Ähnlich wie Luther setzte er auf den Buchdruck und verbreitete seine Werke unter der deutschsprachigen Minderheit, den Siebenbürger Sachsen, und den Rumänen. So setzte Honterus 1542 im Karpatenbogen die Reformation durch, erklärte Prof. Dr. Andreas Müller von der Universität Kiel in seinem Festvortrag.
Im multiethnischen Siebenbürgen mit deutschen, ungarischen, rumänischen und weiteren Ethnien erwies sich die Reformation als politisch wie kulturell gestaltungsmächtig. Während in Mitteleuropa die Untertanen eines Landesfürsten zu dessen Glauben übertreten oder emigrieren mussten, einigten sich die Konfessionen in Siebenbürgen im Jahr 1568 auf eine Toleranzerklärung. Menschen lutherischen, reformierten, römisch-katholischen oder unitarischen Bekenntnisses konnten nebeneinander ihrem Glauben nachgehen. „Es herrschte unbeschränkte Predigtfreiheit. Eine Toleranz, die es sonst im Heiligen Römischen Reich nicht gab“, sagte Müller.
Diese besondere Ausprägung der Reformation war allerdings auch dem nahen Kontakt zum Osmanischen Reich geschuldet. Die Menschen lebten in Angst vor den Osmanen, was manche Kirchenhistoriker zu der pointierten Feststellung bringt: „Ohne die Türken keine Reformation“. Die multiethnische, multikulturelle und multireligiöse Toleranz und Kompromissbereitschaft bezeichnete Müller denn auch als „vorbildlich“ und die reformatorischen Errungenschaften in Siebenbürgen als „eine besondere Schatzkammer europäischer Kultur“.
Die Nähe zum Osmanischen Reich führte ferner auch zu inzwischen als Weltkulturerbe geschützten Wehrbauten, den sogenannten Kirchenburgen. Viele sind verfallen, aber es gibt immense Anstrengungen, die verbliebenen Kirchenburgen zu schützen, zu sanieren und beispielsweise touristisch zu vermarkten, berichtete Reinhart Guib, Bischof der EKR. Die deutschstämmige Bevölkerung, die ihre Orte um diese Kirchenburgen ausbaute, ist durch Auswanderung deutlich geschrumpft – auf rund 40.000 Siebenbürger Sachsen, schätzt Guib. Rund 12.200 davon sind Kirchengemeindemitglieder. Vor dem Zusammenbruch des Ceausescu-Regimes waren es 300.000.
Das Landgrafenschloss steht als Ort des Religionsgesprächs für die theologische Auseinandersetzung zwischen den Reformatoren. Dort ist derzeit auch die Sonderausstellung der Philipps-Universität „#Bildungsereignis Reformation! Ideen, Krisen, Wirkungen“ zu sehen ist. Museumsdirektor Dr. Christoph Otterbeck und Ausstellungskuratorin Christina Schlag M.A. ließen die Reformation als ein vielgestaltiges Ereignis lebendig werden. Zu den Gästen, die die Präsidentin der Philipps-Universität Prof. Dr. Katharina Krause bei der Festveranstaltung im Fürstensaal begrüßen konnte, zählten der Präsident des Hessischen Landtags, Norbert Kartmann, der Hessische Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz, der Botschafter von Rumänien in Deutschland Emil Hurezeanu, die Bischöfe der Evangelischen Kirche in Rumänien, Reinhart Guib, und von Kurhessen-Waldeck, Prof. Dr. Martin Hein, die Marburger Kulturdezernentin und Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach und die Repetentin der Hessischen Stipendiatenanstalt Dr. Frauke Krautheim. Sie pflanzten symbolträchtig im Garten der Hessischen Stipendiatenanstalt am Schloss ein Apfelbäumchen der siebenbürgischen Sorte „Batul“. „Es soll unsere Verbundenheit mit den Orten der Reformation zeigen“, erläuterte Bischof Guib.
Vor der Veranstaltung hatte Botschafter Emil Hurezanu in der Universitätsbibliothek (Wilhelm-Röpke-Straße 4, Oberes Foyer) eine Ausstellung zur einzigartigen Kirchenburgenlandschaft von Siebenbürgen eröffnet. Sie ist bis 14. Juli während der Öffnungszeiten der Bibliothek (täglich von 8 bis 24 Uhr) zu sehen.
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