25.10.2018 Forschungsteam wandert in 3D durch Blutgefäße
Kooperationspartner aus Medizin und Informatik wenden selbst entwickelte Software an, um Kapillaren der Milz zu untersuchen
Wer will, kann jetzt zwischen den feinsten Blutgefäßen der Milz wandern – eine Kooperation der Marburger Hochschulmedizin mit Informatikern der Universität Bayreuth macht‘s möglich: Die Forschungsgruppe erzeugte dreidimensionale Modelle der Blutgefäße, die man mithilfe von „Virtual-Reality“-Brillen erkunden kann. Dadurch fand das Team heraus, wie das Geflecht der Milzgefäße bei Menschen im Detail strukturiert ist. Die Forscherinnen und Forscher berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Scientific Reports“.
Die Milz hilft unter anderem, Fremdkörper, Krankheitserreger und überalterte rote und weiße Blutkörperchen aus dem Körper zu entfernen. Hierfür verfügt die Milz als einziges Organ des Menschen über ein offenes Kreislaufsystem: Darin tritt das Blut aus offenen Enden von Haargefäßen aus; anschließend bewegt es sich frei im Bindegewebe, bis es sich wieder in venösen Gefäßen sammelt.
„Beim Menschen und den meisten Wirbeltieren besitzen die Anfänge der Haargefäße besondere Wandstrukturen, welche die Gefäße ummanteln, sogenannte Kapillarhülsen“, erklärt Professorin Dr. Birte Steiniger von der Philipps-Universität Marburg, die Erstautorin der wissenschaftlichen Publikation. Eine Ausnahme bilden ausgerechnet Nager wie Ratten oder Mäuse, die am häufigsten herhalten müssen, wenn Krankheiten im Tiermodell untersucht werden. „Die Dominanz mäusebasierter Forschung hat zu einer weitgehenden Vernachlässigung von Kapillarhülsen in der Milz geführt“, sagt Steiniger, die seit langem daran arbeitet, das Blutgefäßsystem des Organs neu zu kartieren.
Um die Kapillarhülsen exakt lokalisieren zu können, tat sich die Medizinerin mit Informatikern um Professor Dr. Michael Guthe und seinem Mitarbeiter Dr. Oleg Lobachev von der Universität Bayreuth zusammen. Gemeinsam entwickelte das Team ein Verfahren, um die Blutgefäße dreidimensional abzubilden. Hierfür fertigen Steiniger und ihre Arbeitsgruppe Serienschnitte des Gewebes an, in denen sie charakteristische Strukturen anfärben und somit sichtbar machen, zum Beispiel Gefäßwände. Eine selbst entwickelte Software verarbeitet die Gewebeschnitte zu einem dreidimensionalen Modell.
„Das Besondere ist, dass wir das 3D-Modell der Milzgefäße mit einer speziellen ‚Virtual-Reality‘-Brille ansehen können, wie man sie von Computerspielen kennt“, erläutert Koautor Lobachev. Gleichzeitig lassen sich die originalen, gefärbten Gewebeschnitte einblenden, aus denen das Modell entstanden ist. „Der Betrachter bewegt sich also in einem virtuellen Raum durch das Modell“, ergänzt Steinigers Mitarbeiterin Dr. Verena Wilhelmi, die ebenfalls an der Veröffentlichung mitwirkte.
Die aktuelle Publikation ist Ergebnis eines langfristigen Projekts, in dem sich Steiniger und ihre Arbeitsgruppe seit über 20 Jahren der mikroskopischen Anatomie der menschlichen Milz widmen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten fanden die Marburger Wissenschaftlerinnen jetzt heraus, dass die Milzkapillaren erheblich komplizierter und vielgestaltiger gebaut sind, als die anatomischen Lehrbücher dies derzeit darstellen.
Insbesondere sind die Kapillarhülsen um einiges länger als bislang gedacht – „die meisten waren nicht einmal vollständig in unseren Schnittserien enthalten“, legt Steiniger dar. Bedenke man die Bedeutung der Milz für das menschliche Immunsystem, so verdienten ihre ummantelten Kapillaren, noch detailgenauer untersucht zu werden, konstatiert das Autorenteam.
Originalveröffentlichung: Birte S. Steiniger & al.: Locating human splenic capillary sheaths in virtual reality, Scientific Reports, 24. Oktober 2018
Originaldaten für die Darstellung als „Virtual Reality“: https://doi.org/10.5281/zenodo.1229434