10.07.2020 Organische Halbleiter: Neue Synthesestrategie ermöglicht spezielle Molekülarchitekturen
Kooperation von Chemie und Physik schafft Basis für neuartige molekulare Bausteine der organischen Elektronik
Ein Team aus Chemie und Physik der Philipps-Universität hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Seitengruppen an speziellen Positionen organischer Halbleiter anheften lassen – eine Voraussetzung für die Anwendung des Materials in der organischen Elektronik. Die Forschungsgruppe berichtet in der Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ über ihre Ergebnisse.
Elektronische Bauteile auf Basis organischer Halbleiter gelten als zukunftsweisende Technik, ihre Entwicklung verläuft rasant: Da sie biegsam sind, lassen sich aus ihnen dünne Folien herstellen, die elektronische Schaltungen enthalten. Auch die günstigen Fertigungskosten machen diese neuen Materialien wirtschaftlich interessant.
„Typischerweise bestehen organische Halbleiter aus polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, die durch gezielte chemische Modifikationen in ihren Eigenschaften verändert und damit für die jeweiligen Einsatzzwecke angepasst werden“, erläutert der Physiker Professor Dr. Gregor Witte von der Philipps-Universität, einer der Verfasser des Fachartikels. „Bisher wurden fast ausschließlich solche Modifikationen eingesetzt, bei denen entsprechende Materialien bezüglich ihrer langen Achse symmetrisch angepasst werden oder es wurden ganze Ringeinheiten verändert.“ Jetzt ist es erstmals gelungen, solche Moleküle nur auf einer Seite ihrer langen Achse mit Fluorgruppen zu versehen – dank einer Zusammenarbeit zwischen Synthesechemie und molekularer Festkörperphysik der Philipps-Universität Marburg.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler präsentieren ein neuartiges Herstellungsverfahren, das es ermöglicht, Fluorgruppen einseitig an einer der Längsseiten des Halbleitermoleküls Pentacen anzubringen. „Dies ermöglicht die Herstellung unilateral fluorsubstituierter Pentacene, deren elektronische Struktur eine echte Kreuzung aus nichtfluoriertem und perfluoriertem Pentacen ist“, erklärt der Marburger Chemiker Professor Dr. Ulrich Koert, einer der Leitautoren. „Ein wichtiger Meilenstein ist dabei die Übergangsmetallkatalysierte C-C-Bindungsknüpfung, die diese Synthese beherrschbar macht. Diese organische Synthese ermöglicht jetzt die kontrollierte, effiziente Synthese fast beliebiger Substitutionsmuster am Pentacen.“
Dieses neuartige Material konnte in Wittes Gruppe kristallisiert und hinsichtlich seiner optischen und elektronischen Molekül- und Festkörpereigenschaften charakterisiert werden. „Dabei konnte gezeigt werden, dass die einseitige Fluorierung im Gegensatz zu den symmetrischen substituierten Molekülen ein ausgeprägtes Dipolmoment verursacht“, ergänzt Witte. Durch das neue Verfahren erhalten die Verbindungen nicht nur als Einzelmoleküle die gewünschten Eigenschaften, sondern auch das Verhalten von dünnen Kristallfilmen und Grenzflächen zwischen Trägermaterialien und organischen Halbleitern lasse sich auf diese Weise kontrollieren. „So nehmen die Moleküle in Kristallen ein neuartiges Packungsmotiv an, wodurch die optischen Festkörperzustände deutlich verändert sind“, führt der Physiker aus. „Die nun aufgezeigte Syntheseroute wird es ermöglichen, neuartige Funktionsmaterialien zu synthetisieren und daraus molekulare Nanostrukturen gezielt zu erzeugen, deren Eigenschaften in künftigen organischen Bauelementen genutzt werden können.“
Professor Dr. Ulrich Koert lehrt Organische Chemie in Marburg. Professor Dr. Gregor Witte leitet eine Arbeitsgruppe für Molekulare Festkörperphysik an der Philipps-Universität. Beide Wissenschaftler sind Mitglieder im Sonderforschungsbereich „Struktur und Dynamik innerer Grenzflächen“ (SFB 1083) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der die zugrunde liegende wissenschaftliche Arbeit finanziell unterstützt hat.
Originalveröffentlichung: Philipp E. Hofmann, Matthias W. Tripp, Daniel Bischof, Yvonne Grell & al.: Unilaterally Fluorinated Acenes: Synthesis and Solid State Properties, Angewandte Chemie 2020, DOI: https://doi.org/10.1002/ange.202006489