17.09.2020 Woran Spiele kranken
Ein fachübergreifender Sammelband thematisiert Krankheit in Computerspielen
Die Corona-Pandemie hat es wieder einmal gezeigt: Wie wir im Alltag mit Krankheit umgehen, ist stark von den Vorstellungen und Bildern abhängig, die die Medien über Krankheiten verbreiten. Das gilt auch für Computerspiele, in denen der Gesundheitszustand der Figuren oftmals deren Aktivitäten beeinflusst. Ein neuer Sammelband thematisiert nun erstmals aus interdisziplinärer Perspektive, wie Krankheiten in Computerspielen vorkommen: Arno Görgen & Stefan Heinrich Simond (Hg.): Krankheit in Digitalen Spielen. Interdisziplinäre Betrachtungen, Bielefeld (transcript) 2020, ISBN: 978-3-8376-5328-1, 466 Seiten, 49 Euro
„Für Kunst und Kultur sind Krankheiten seit jeher ein attraktives Sujet“, erklärt der Marburger Medienwissenschaftler Stefan Heinrich Simond, einer der beiden Herausgeber – das gelte auch für digitale Spiele. Seit mehr als 20 Jahren finden sich medizinische Themen in Computerspielen – die Bandbreite reicht von Krankheitserregern bis zur Leitung einer fiktiven Klinik. In jüngster Zeit kommen Spiele auch in der Therapie und in der Lehre zum Einsatz– man spricht dann von „serious games“.
Die wissenschaftliche Literatur behandelt jedoch meist nur isolierte Aspekte des Themas – bis jetzt: „Wir haben uns für die Publikation eines Sammelbandes entschieden, um nicht eine, sondern viele unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen“, betont Simond.
„Als erster Sammelband überhaupt vereint das Buch sowohl theoretische und analytische Überlegungen als auch praktische Erfahrungen, etwa mit der Entwicklung gesundheitsfördernder Computerspiele“, ergänzt Mitherausgeber Dr. Arno Görgen von der Hochschule der Künste Bern. Die Beiträge stammen aus den Medien- und Kulturwissenschaften, aus Medizinphilosophie, Medientheorie und -ethik, aus Literaturwissenschaft, aus der Medizin und aus dem Bereich der Produktentwicklung.
Das Buch ist als Einführung in die Thematik konzipiert. Was ist Krankheit? Wie vermitteln digitale Spiele Wissen? Welche Formen der künstlerischen Auseinandersetzung mit Krankheit gab es schon vor dem digitalen Spiel? Neben solch grundlegenden Fragen behandelt das Werk auch Einzelthemen und untersucht Fallbeispiele; das thematische Spektrum reicht von Lernspielen bis zu Spielen, in denen es um Krebs oder posttraumatische Belastungsstörung geht.
Krankheit in digitalen Spielen diene als „wichtiger Baustein in der Herstellung von Authentizitätsfiktionen für ein immersives, realistisches Spielerlebnis“, schreiben die Herausgeber in der Einleitung; sie sei aber auch eine „Metapher der menschlichen Vulnerabilität“, eine „kraftvolle ästhetische Form“. Schließlich erlaube das Denken über Krankheit in digitalen Spielen auch Rückschlüsse darauf, wie die Gesellschaft mit Menschen umgehe, die an den Rand gedrängt seien. „Wenn unser Verständnis von Gesundheit und Krankheit sowie deren Ort in Form von Institutionen als historisch sich verändernd begriffen wird, ist die Teilhabe digitaler Spiele an Kämpfen um Deutungshoheit und Stigmatisierung nicht zu unterschätzen“, resümiert Simond.
Die Herausgeber: Stefan Heinrich Simond verfertigt eine Doktorarbeit über „Die Konstruktion psychischer Krankheiten und psychiatrischer Institutionen in digitalen Spielen“ bei Professor Dr. Andreas Dörner am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Er ist Mitbegründer und Chefredakteur des Spieletheorie-Portals pixeldiskurs.de. Der Medizinhistoriker Dr. Arno Görgen verfasst an der Hochschule der Künste Bern eine Zweitdissertation zum Thema der „Funktionalen Störung“ anhand medikaler Narrative in digitalen Spielen.
Weitere Informationen beim Verlag Transcript: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5328-1/krankheit-in-digitalen-spielen/