19.05.2021 Wenden bei Höchstgeschwindigkeit
Physikerinnen und Physiker beobachten neuartige Lichtemission, wenn Elektronen in topologischen Isolatoren ihre Bewegungsrichtung abrupt umdrehen
Um die Bewegungsrichtung eines massiven Objekts, etwa eines Autos, umzudrehen, muss dieses erst abgebremst und zum Stillstand gebracht werden. Auch die kleinsten Ladungsträger im Universum, die Elektronen, gehorchen diesen Regeln. Für künftige blitzschnelle elektronische Bauelemente würde man diese Trägheit hingegen gerne umgehen. Lichtteilchen, die sogenannten Photonen, machen vor, wie das gehen könnte. Sie tragen überhaupt keine Masse und bewegen sich deshalb stets mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit, welche die Natur für Teilchen zulässt: der Lichtgeschwindigkeit. Für eine Richtungsänderung müssen sie nicht erst abgebremst werden; durch Reflexion an einem Spiegel ändern Photonen abrupt ihre Bewegungsrichtung ohne Zwischenstopp. Solche Eigenschaften sind beispielsweise für die Elektronik der Zukunft sehr wünschenswert, um die Richtung des Stroms dann unendlich schnell zu schalten und die Taktrate von Prozessoren massiv zu steigern. Photonen tragen jedoch – im Gegensatz zu Elektronen – keine elektrische Ladung, die für elektronische Bauteile wichtig wäre.
Einer Gruppe von Physikerinnen und Physiker an der Universität Regensburg, der Universität Marburg und der Russischen Akademie der Wissenschaften in Novosibirsk ist es nun gelungen, die Bewegungsrichtung von Elektronen ultraschnell umzudrehen, ohne diese vorher abzubremsen. Dafür machten sich die Forscherinnen und Forscher die Eigenschaften einer neuen Klasse von Materialien – sogenannter topologischer Isolatoren – zu Nutze. Auf deren Oberfläche verhalten sich Elektronen wie masselose Teilchen, die sich ähnlich wie Licht sehr schnell bewegen. Über die Ergebnisse berichtet das Forschungsteam in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature“.
Um die Bewegungsrichtung der Elektronen möglichst schnell zu schalten, verwendeten die Forscherinnen und Forscher die schwingende Trägerwelle von Licht – das schnellste vom Menschen kontrollierbare Wechselfeld der Natur – wie einen starken Schubs aus Licht. Wenn Elektronen abrupt wenden, entsteht ein ultrakurzer Lichtblitz, der einen großen spektralen Bereich ähnlich wie ein Regenbogen abdeckt und mit optischen Detektoren vermessen werden kann. Welche Farben genau emittiert werden, folgt dabei bestimmten Regeln: Normalerweise entsteht nur Licht, dessen Schwingungsfrequenz ein ganzzahliges Vielfaches der Frequenz des einfallenden Lichts beträgt. „Durch geschicktes Verändern des beschleunigenden Lichtfelds gelang es uns jedoch, diese Regeln zu brechen und die Bewegung der Elektronen so zu kontrollieren, dass Licht jeder erdenklichen Farbe erzeugt werden kann“, erklärt Erstautor der Publikation Christoph Schmid vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universität Regensburg.
Bei der genauen Analyse der emittierten Strahlung stießen die Forscherinnen und Forscher zudem auf weitere ungewöhnliche Quanteneigenschaften der Elektronen. So stellte sich heraus, dass sich die Elektronen an der Oberfläche des topologischen Isolators nicht auf geraden Bahnen, sondern in Schlangenlinien bewegen.
„Diese Ergebnisse vermitteln nicht nur einen faszinierenden Einblick in die mikroskopische Quantennatur von Elektronen, sondern geben auch Anlass zur Hoffnung, dass topologische Isolatoren Anwendung in der Informationsverarbeitung der Zukunft finden könnten“, resümiert Professor Dr. Rupert Huber, Leiter der experimentellen Studien in Regensburg. Das perfekte Umfeld für solche Ambitionen bietet der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Regensburger Sonderforschungsbereich SFB 1277 über neuartige relativistische Effekte in Festkörpern.
Auch für den Marburger Sonderforschungsbereich SFB 1083 „Struktur und Dynamik innerer Grenzflächen“ stellt die neuartige Lichtemission nach Einschätzung von SFB-Sprecher Professor Dr. Ulrich Höfer eine wegweisende Entdeckung dar. Gemeinsam mit Professor Dr. Jens Güdde will er den Effekt in der kommenden, dritten Förderphase des SFB 1083 nutzen, um Streuprozesse von Elektronen an Grenzflächen von topologischen Isolatoren zu untersuchen, die unter einer isolierenden Schutzschicht vergraben sind. Für die praktische Anwendbarkeit in künftigen elektronischen Bauelementen kommt es entscheidend darauf an, die ungewöhnliche Elektronenbewegung von Umgebungseinflüssen zu schützen. Der Sonderforschungsbereich unterstützte die zugrunde liegende Forschungsarbeit finanziell.
(Pressetext: Katrin Groß, Universität Regensburg)
Originalpublikation: Christoph P. Schmid & al.: „Tuneable non-integer high-harmonic generation in a topological insulator“, Nature 2021, DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41586-021-03466-7