24.06.2021 Wie Pflanzen Umweltstress widerstehen
Forschungsteam erweitert den molekularen Werkzeugkasten für die Entwicklung neuartiger Nutzpflanzen
Da der Klimawandel die Erde dramatisch verändert, was zu Nahrungsmittelknappheit und massivem Verlust der Artenvielfalt führen kann, ist es von entscheidender Bedeutung, Pflanzen zu züchten, die Umweltstress besser widerstehen können. In einer neuen Studie, die nun im Fachjournal CELL veröffentlicht wurde, schaffen Forschende vom Helmholtz Zentrum München in Zusammenarbeit mit der TU Kaiserslautern, der LMU München, der Okayama University, der McGill University, der Ruhr-Universität Bochum, dem Max-Planck-Institut für Biochemie und der Philipps-Universität Marburg dafür eine zukunftsträchtige Basis. Der Marburger Beitrag kommt aus der Arbeitsgruppe von Dr. Jan Schuller vom Zentrum für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO) und dem Fachbereich Chemie der Philipps-Universität.
„Die Photosynthese ist einer unserer Verbündeten im Wettstreit um Nahrungsressourcen", sagt Dr. Engel, Leiter der Studie. Sogenannte Thylakoidmembranen und die darin enthaltenen Proteinkomplexe im Inneren von Cyanobakterien, Algen und Pflanzen wandeln die Energie des Sonnenlichts in biochemische Energie um, um CO2 aus der Atmosphäre in Zucker umzuwandeln. „Unser Team versucht zu verstehen, wie die Membranstrukturen als Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen auf- und umgebaut werden", so Dr. Engel weiter.
Untersuchungsobjekt dieser Studie sind Vesikel-induzierende Proteine (VIPP1), die in allen Thylakoidmembranen enthaltenden photosynthetisch aktiven Organismen konserviert vorliegen - von Landpflanzen bis hin zu Meeresalgen und Cyanobakterien. Bislang war unbekannt, wie VIPP 1 ihre essentiellen Funktionen ausüben. Genau dieser Frage ist die Marburger Gruppe um Dr. Jan Schuller nachgegangen. Mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie konnte er die erste hochauflösende Struktur von VIPP1 darstellen. Die Kombination der Strukturanalyse mit funktionellen in vitro- und in vivo-Assays zeigte, wie sich VIPP1 zu einer verwobenen Proteinhülle zusammensetzt, Nukleotide hydrolysiert und Membranen formt. Interessanter Nebenaspekt: VIPP1 ist sowohl strukturell als auch funktionell homolog zu ESCRT-III-Proteinen, die eine Vielzahl von Membranen in menschlichen Zellen reparieren.
Als nächstes nutzten die Forscher die sogenannte Kryo-Elektronentomographie, um VIPP1-Strukturen innerhalb der nativen zellulären Umgebung von Cyanobakterien- und Algenzellen abzubilden. Sie entwarfen Mutationen, die die Fähigkeit von VIPP1, Membranen zu binden, beeinträchtigen, und beobachteten unter starkem Lichtstress eine zerstörerische Thylakoid-Schwellung, was darauf hindeutet, dass VIPP1 die Membranen bei der Aufrechterhaltung der Thylakoide unter wechselnden Umweltbedingungen umbauen kann.
Diese nun in CELL veröffentlichte und umfangreiche Studie über die molekularen Mechanismen, die den Thylakoid-Umbau vorantreiben, erweitert nicht nur den molekularen Werkzeugkasten für die Entwicklung neuartiger Nutzpflanzen, die schneller wachsen und besser gegen Umweltstress resistent sind, sondern sorgt auch dafür, dass mehr atmosphärisches CO2 gebunden werden kann – was vielleicht dem Klimawandel entgegenwirken könnte.
Dr. Jan Michael Schuller ist Leiter der selbstständigen Nachwuchsgruppe „KryoEM von Molekularen Maschinen“ am Zentrum für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO) und dem Fachbereich Chemie der Philipps-Universität Marburg. Gemeinsam mit seinem Team untersucht er die Struktur und Funktion makromolekularer Anordnungen unter Einsatz innovativer Verfahren der Strukturbiologie, Biochemie und Molekularbiologie. So ist Schuller unter anderem Experte für Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM), die großen Detailreichtum in der Analyse von Makromolekülen ermöglicht. Schuller wurde im März 2021 mit dem Heinz Maier Leibnitz Preis von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als einer der besten Nachwuchswissenschaftler Deutschlands ausgezeichnet.
Originalpublikation
Gupta et al., 2021: Structural basis for VIPP1 oligomerization and maintenance of thylakoid membrane integrity. Cell, DOI: https://doi.org/10.1016/j.cell.2021.05.011
Kontakt
Dr. Jan Michael Schuller
Tel.: 06421 28-22584
Mail: jan.schuller@synmikro.uni-marburg.de
Zentrum für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO)
Philipps-Universität Marburg