25.04.2022 „Dinge sind Erinnerungsspeicher, die Marburgs Geschichte erzählen“
Stadt Marburg entwickelte „Stadtgeschichte*n 1222-2022“ gemeinsam mit dem Museum für Kunst- und Kulturgeschichte der Philipps-Universität
Pressemitteilung der Stadt Marburg:
„Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist wichtig für eine Stadt, ihre Bevölkerung und ihre Gäste“, so Oberbürgermeister und Kulturdezernent Dr. Thomas Spies. „Die Geschichte stiftet Identität und Reflexionsräume.“ Außerdem nutze das Gehirn die Vergangenheit, um Vorhersagen für die Zukunft zu machen. „Erinnerungsarbeit ist also Zukunft machen.“ Deshalb habe die Geschichte unter dem Themenschwerpunkt „Marburg erinnern“ auch einen wichtigen Teil im Programm des Jubiläumsjahrs Marburg800.
Zum Stadtgeburtstag öffnete daher nun eine besondere Ausstellung: „Stadtgeschichte*n 1222-2022“ hat der Fachdienst Kultur der Stadt gemeinsam mit dem Museum für Kunst- und Kulturgeschichte der Philipps-Universität entwickelt. „Knapp 500 Jahre sind Stadt und Universität gemeinsam durch die Zeit gegangen. In dieser Ausstellung zeigt sich, wie innovativ wir gemeinsam sein können. Ich freue mich auf das gemeinsame Experiment, in dem Stadt, Stadtgesellschaft und Universität entlang von Sammlungsobjekten neue Wege in die Vergangenheit gehen“, sagt Prof. Dr. Thomas Nauss, Präsident der Universität Marburg.
Eine neunköpfige Arbeitsgruppe von Fachleuten hat sich für die Ausstellung auf Spurensuche in die Geschichte Marburgs, in die Sammlung des Landgrafenschlosses und in die Archive von Stadt und Land begeben. Insgesamt haben sich mehr als 100 Menschen an der Entstehung beteiligt. Das Ergebnis: Eine Ausstellung, die Marburgs Geschichte anhand von Objekten anschaulich machen soll – verteilt auf drei besondere Orte in der Stadt. „Dinge und Orte sind Erinnerungsspeicher, die eine eigene Geschichte haben und die Geschichte Marburgs erzählen“, so OB Spies.
Neue Erinnerungen hat die Stadt dann auch zur Eröffnung der dreigeteilten Ausstellung geschaffen: Auf dem Marktplatz fand begleitend ein kulturelles und geschichtliches Programm statt. Für Musik sorgten die „The Small Easy“-Marchingband und das Samuel Bos Jazztrio. Es gab eine Gesprächsrunde zur Stadtgeschichte und Kurzperformances zu der Ausstellung – hier erzählten Dr. Christoph Becker, Dominque Macri und das Fast Foward Theater, was sie mit „Stadtgeschichte*n“ zu tun haben.
Jahrhundertgalerie im Rathaus
Vier Treppen, acht Jahrhunderte, 64 historische Bilder, Urkunden und Gemälde samt kurzen Infotexten – so sieht die Jahrhundertgalerie im Treppenaufgang des Rathauses aus. Die Stadt Marburg macht ihre Geschichte an dieser Stelle begehbar: Wer die vier Treppen hinaufgeht, kann dabei durch 800 Jahre Marburger Geschichte gehen und einige spannende Aspekte kennenlernen, die Marburg geprägt haben.
Zu sehen sind etwa Darstellungen von Menschen, die großen Einfluss auf Marburgs Geschichte genommen haben: Darstellungen von der Heiligen Elisabeth, Sophie von Brabant, vom Marburger Religionsgespräch, von Landgrafen, von der Regentin Amelie Elisabeth, dem Physiker und Mathematiker Denis Papin, vom Staatsrechtler Sylvester Jordan, von Emil von Behring, Martin Heidegger und Wolfgang Abendroth.
Außerdem abgebildet sind einige spannende Schriftstücke: Die Reinhardsbrunner Chronik; die Urkunde, mit der Elisabeth von Thüringen heiliggesprochen wurde; eine Urkunde, die bezeugt, dass Mitglieder der Zünfte in den Stadtrat aufgenommen wurden; die älteste Marburger Wochenzeitung und Beschwerden über wirtschaftliche Not wegen zu geringer Studentenzahlen. Ebenso zu entdecken ist die Baugeschichte beim Gang durch die Jahrhundertgalerie: Der „Hirschberg 13“ – eines der ältesten Häuser in Marburg – sowie die Hirsemühle, der Bahnhof und viele Stadtansichten und Stadtkarten.
„8 Objekte in 8 Jahrhunderten“
Die Wandausstellung „8 Objekte in 8 Jahrhunderten“ ist im Markt 23 zu sehen, wenige Schritte vom Rathaus entfernt. Die Räume sind im Konzept der Ort, der auch zum Verweilen einlädt. Hier stehen Stadtschriften zu historischen Themen bereit und vor allem werden geschichtliche Informationen als Podcast spielerisch erzählt. Mit neun Hörspielen, die sich der Stadtgeschichte kreativ aus neuer Perspektive widmen. Die „Digi.tales“ wurden von in Marburger Künstler*innen geschrieben und im Werkraum56 mit Sprecher*innen realisiert. Entstanden sind so vielfältige Formate - von der Radio-Persiflage über Poesie und Science Fiction bis zu True Crime. „Dieser Ausstellungsort ist der kleinste Raum. Aber er bietet eine Vernetzung in die größere Welt der Medien. So sind verschiedene Ebenen der Auseinandersetzung für verschiedene Zielgruppen entstanden“, erklärt Dr. Christoph Otterbeck, Direktor des Universitätsmuseums.
„Objekte erzählen Geschichte“
Original-Exponate gibt es im Landgrafenschloss zu sehen. „Objekte erzählen Geschichte“ machen Geschichte plastisch. Wie der große Wandteppich aus dem 15. Jahrhundert mit der Geschichte vom verlorenen Sohn etwa, der so groß war, dass er zerschnitten wurde, um in der Elisabethkirche zu liegen. Wann und warum ist er vor mehr als 500 Jahren hergestellt worden? Und was wollten die Diebe, die ihn im frühen 20. Jahrhundert zerschnitten haben?
Und welche menschlichen Tragödien hat die Wetterfahne des Rathauses mit dem Reiter während des 30-jährigen Kriegs im 17. Jahrhundert vorbeiziehen sehen? „Im Südflügel entsteht ein dichtes, facettenartiges Bild der Stadt. Es ist ein Mosaik aus vielen Stücken, die einen Teil der Geschichte beleuchten“, erklärt Otterbeck. Zu sehen ist auch die Justitia, die das Rathaus ziert – die Originalversion, denn am Rathaus ist eine Kopie angebracht, um das Original vor Wind und Wetter zu schützen.
Inklusive Stadtgeschichten und ein Magazin
Flankiert werden die „Stadtgeschichte*n“ vom Internetauftritt mit Vorlesefunktionen, Übersetzungen in Gebärdensprache und mit einem Geschichtspuzzle für Kinder. Die Ausstellung soll unterschiedliche Sinne ansprechen und ist inklusiv. Entstanden ist außerdem auch das Magazin „Marburg Stadtgeschichten“, das mit seinen geschichtlichen Betrachtungen weit mehr ist als ein Katalog zur Ausstellung, sondern in Text und attraktiven Bildern eigenständig für Anregungen und Denkanstöße steht – es ist im Buchhandel erhältlich.
„Stadtgeschichten“ für die Zukunft
Das Konzept „Stadtgeschichte*n“ ist laut Ruth Fischer ein mehrstimmiges und offenes Konzept. „,Stadtgeschichten‘ lassen Raum für Vertiefungen und Weiterentwicklungen von Inhalten für verschiedene Zielgruppen und Bedürfnisse. ,Stadtgeschichten‘ lassen sich in der Zukunft weiterspinnen, verdichten oder neu aufstellen“, so Fischer. „Heute wird ein Anfang gemacht. Er bietet Grundlage und Ausgangspunkt für einen öffentlichen kulturpolitischen Diskurs, der breit geführt werden soll“, betont Spies. Dazu wird im Herbst eine Tagung stattfinden, die sich der Bedeutung von Geschichtsschreibung und Tradition für die Zukunft widmet.