09.12.2024 Röntgen-Detektive am Silberschatz

Marburger Archäologen untersuchen 1700 Jahre alten Fund

Foto: GDKE RLP, Landesarchäologie Koblenz
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Archäologiefund im Westerwald. Klicken Sie sich durch die Fundstelle.

Wie gelangte der Silberschatz ins Westerwälder „Niemandsland“, an einen Ort rund 20 Kilometer auf der germanischen Seite der römischen Reichsgrenze? Rund 1700 Jahre alt ist der Fund, den Archäologen der Koblenzer Landesarchäologie im Frühjahr 2024 bei Herschbach im Westerwald geborgen hatten. 3000 Münzen, 450 Gramm filigrane Silberfragmente. „Wir wollen Herkunft und Bedeutung des Schatzes nun weiter wissenschaftlich untersuchen“, berichtet Prof. Dr. Félix Teichner vom Vorgeschichtlichen Seminar der Philipps-Universität Marburg. Mit Spezialisten für bildgebende Verfahren um Prof. Dr. Andreas Mahnken von der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie wollen die Forschenden die Fundstücke durchleuchten, um Licht in deren verborgene Vergangenheit zu bringen.

In Marburg arbeiten die Medizin des UKGM und die Archäologie der UMR seit Jahren zusammen, um archäologische Objekte mithilfe radiologischer Verfahren wie Röntgen und Computertomographie zu analysieren. Mit diesen Methoden können die Forschenden in geschlossene Strukturen blicken und Materialzusammensetzungen untersuchen. Zusätzlich erlauben moderne Bildverarbeitungstechniken die virtuelle Rekonstruktion beschädigter Artefakte und die Erstellung dreidimensionaler Modelle, die eine "digitale Restaurierung" von Objekten ermöglichen, etwa durch die virtuelle Entfernung von Korrosionsschichten.

Neben den römischen Silbermünzen vom Typ Antoninan, deren Prägung in den Jahren um 270 nach Christus erfolgte, beinhaltet der Fund auch 250 Silberfragmente, hauchdünne Bleche, mit einem Gesamtgewicht von 450 Gramm. Das größte dieser Stücke ist 83 Gramm schwer, 16 Zentimeter lang, und mehrfach verbogen. „Es ist absichtlich in sich selbst verdreht“, berichtet Félix Teichner. Wegen derartiger Deformationen und der Zerteilung der ursprünglichen Objekte in zahlreiche Einzelteile konnten die Forschenden diese Artefakte noch nicht detailliert untersuchen und insbesondere die Verzierungen, die die gesamten Oberflächen überziehen, nicht dokumentieren. „Wir haben noch keine genaue Idee, wie die ursprüngliche Form der Stücke überhaupt ausgesehen haben könnte“, berichtet der Archäologe.

Der Fund aus dem Westerwald ist ein sogenannter Hortfund: aus unbekannten Gründen wurden die Objekte versteckt und konnten dann später nicht mehr geborgen werden. Ein ehrenamtlicher Sondengänger (mit einer Nachforschungsgenehmigung der Denkmalpflege) hatte zuvor den Fund von Münzen gemeldet. Durch eine wissenschaftliche Nachgrabung gelang es den Koblenzer Kollegen dann, in einer Felsspalte den Boden des Keramikgefäßes freizulegen, in dem die Münzen und Silberbleche einstmals verborgen worden waren.

Mithilfe von nicht-invasiven radiologischen Verfahren wollen die Forschenden nun die Silberbleche exakt scannen und ihre Struktur dreidimensional rekonstruieren, ohne dabei Beschädigungen zu riskieren. „Wenn es uns gelingt, die Silberfragmente digital zu entfalten und anschließend virtuell zusammenzusetzen, kann die ursprüngliche Form der zerstörten Objekte rekonstruiert und hoffentlich ihre genaue Funktion geklärt werden“, sagt Teichner. Dann lässt sich vielleicht beantworten, wie die wohl aus dem Inneren der römischen Provinz Gallien (dem heutigen Frankreich) stammenden Funde über die damalige Grenze in den Westerwald gelangten, der damals zum „wilden“ Germanien gehörte..

In der Klinik für diagnostische und interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Marburg werden in Form einer interdisziplinären Amtshilfe, die wenigen Zeitfenster zwischen den medizinischen Untersuchungen an Menschen genutzt, um Gegenstände der älteren Menschheitsgeschichte wissenschaftlich zu untersuchen. So zuletzt beispielsweise auch Mumien aus den Sammlungen der Universität. Trotz technischer Fortschritte ist die Nachbearbeitung der Bilddaten zeitaufwändig, da aktuelle Programme ausschließlich auf die Verwendung in der Medizin ausgelegt sind. Durch die Kooperation zwischen den beiden Fachdisziplinen, der Radiologie und der Archäologie, entwickeln Andreas Mahnken und Félix Teichner konsequent die Marburger Kompetenz auf dem Gebiet der digitalen Analyse fort und eröffnen den Weg in ein digitales Zeitalter für die seit fast 100 Jahren in Marburg ansässige Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie.

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