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Politische Exkursion im Land der Zedern
Exkursion von 13 Studierenden des Fachgebiets Politik in den Libanon
Weshalb stellt der Libanon ein so wichtiges Land in der arabischen Welt dar, obwohl es auf den ersten Blick mit seinen knapp vier Millionen Einwohnern und einer Fläche, die gerade mal halb so groß ist wie Hessen, als eher unspektakulär erscheinen mag? Dieser Frage gingen auch wir nach, 13 Nahostpolitik-Interessierte, welche durch ihr jeweiliges Studium der Orientwissenschaft oder Friedens- und Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg im März dieses Jahres das „Geheimnis“ des Zedernlandes erforschen wollten. Wir sollten die Gelegenheit bekommen, ein Land im Nahen Osten einmal durch eine andere Art der Exkursion kennen zu lernen, nämlich mit Augenmerk auf die Politik des Landes.
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien (CNMS) Karolin Sengebusch, bereitete uns auf die Exkursion durch ein Seminar mit dem Namen „Libanon – Parteien, Strukturen, Konflikte“ vor. Dadurch erfuhren wir im Vorfeld – zumindest formal - die wichtigsten Aspekte des Libanon, wie Ursachen und Folgen des 15-jährigen Bürgerkrieges, das auf Konfessionen basierende politische System oder auch die Rolle externer Mächte. Die Exkursion folgte dem Motto „Dynamiken politischer Partizipation im Libanon: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“, was den Fokus auf die verschiedenen Formen der Interessensartikulation setzte. Ziel der Reise sollte demnach die Beantwortung der Frage nach der Rolle politischer Parteien und zivilgesellschaftlicher Organisationen im politischen System, dem Einfluss von Klientel- und Patronagenetzwerken auf die politische Entwicklung des Landes sowie der Position (inter)nationaler NGOs sein. Dadurch, dass der Libanon schon während der französischen Mandatszeit durch sein pluralistisches politisches System ein relativ liberales politisches und gesellschaftliches Klima förderte, stellt das Zedernland nicht nur eine Ausnahme in der arabischen Welt dar, sondern ermöglicht zudem eine ideale Forschungsbasis für uns Studenten.
Die Exkursion bestand demnach primär aus Treffen mit verschiedenen wichtigen Akteuren im Libanon, was politische Persönlichkeiten, die Vereinten Nationen oder Universitäten mit ein schloss. Im Folgenden sollen nur einige, die für uns interessantesten und einprägendsten Treffen detaillierter beschrieben werden.
Bereits am ersten Tag begegneten wir der so genannten la-ta'ifiyya-Bewegung, einer Sit-In Protestinitiative, bestehend aus einer Gruppe junger Engagierter. Diese finden sich täglich im westbeiruter Sinaya Park zusammen um ihre anti-konfessionelle Position zum Ausdruck zu bringen. Die Mitglieder der Gruppe erklärten uns die vorherrschenden Machtkonflikte und die durch die Etablierung von Eliten erzeugte Undurchsichtigkeit des politischen Systems, welche durch die Einbindung der Konfessionen in die Politik entstehen. Die extreme Offenheit und Politisierung dieser jungen Leute überraschte vor allem diejenigen unter uns, die bereits in anderen arabischen Ländern gewesen waren, wo eine derartige öffentliche politische Diskussion oft nicht möglich ist.
Die Besichtigung des palästinensischen Flüchtlingslagers Nahr al-Bared in der Nähe von Tripoli resümierten viele von uns mit gemischten Gefühlen. Nach einem Briefing durch eine Repräsentantin des Lebanon Field Offices der United Nations Refugee Works Agency (UNRWA) bekamen wir Zugang zu dem Flüchtlingscamp, wo wir uns mit Bewohnern unterhielten, eine UNRWA-Schule besichtigten sowie für den Wiederaufbau verantwortliche Palästinenser des im Jahre 2007 zerstörten Lagers trafen. Einerseits verfolgten wir dieses Erlebnis mit großem Interesse und Neugier, andererseits spiegelte sich darin eine Art Hilflosigkeit wider. Denn es war sehr schwierig, auf die Erzählungen der Palästinenser, welche im Libanon weder Bürgerrechte besitzen noch sich in anderen Lebensbereichen entfalten können, zu reagieren.
Das Treffen, auf welches wir alle gespannt gewartet hatten, war jenes mit Ali Fayyad, Parlamentarier und Repräsentant der Hizballah, jener politisch-schiitischen Partei, die im Libanon immer mehr an politischer Macht und Unterstützung gewinnt, jedoch auch zur stärkeren Spaltung innerhalb der politischen Lager beiträgt. Er entpuppte sich als äußerst charismatische Persönlichkeit, welche redegewandt und durchaus überzeugend argumentieren konnte, es jedoch auch verstand, sehr oberflächlich auf unsere Fragen zu antworten. Leider musste er sich jedoch schon bald wieder aufgrund eines Termins verabschieden, was wir alle sehr bedauerten. Für viele von uns bestätigte sein Verhalten die typischen Eigenschaften eines Politikers, welcher sich nach außen hin distanziert und als nicht greifbar präsentiert. Andererseits hatten wir unseren Erwartungshorizont durch die vorherige ausführliche Lektüre über die Hizballah höher geschraubt. Letztendlich war es jedoch eine sehr interessante Erfahrung, eine solche Person einmal „live“ erlebt zu haben.
Schließlich möchte ich noch auf das Treffen mit der libanesischen Organisation UMAM Documentation & Research eingehen, welche sich mit der Wiederaufarbeitung des Bürgerkrieges beschäftigt. UMAM wurde 2004 gegründet und beschäftigt sich mit der Sammlung und Publizierung von Artefakten und Daten, welche den Bürgerkrieg belegen. Da die Regierung nach dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs 1990 die traumatischen Folgen vielmehr ignorierte und auch sonst keine Initiative existierte, die sich in irgendeiner Weise mit den Opfern, Tätern oder Angehörigen auseinandersetzte, wurde UMAM ins Leben gerufen, um durch ein „national memory“ – wie sie das Ziel ihrer Arbeit beschreibt – den Betroffenen des Krieges eine Plattform und somit die Möglichkeit der Aufarbeitung ihrer Erlebnisse zu bieten. Die Arbeit UMAMs begeisterte uns zum einen durch das positive Arbeitsklima sowie die Vielfalt an Arbeitsmethoden und Medien. Andererseits nahmen wir das überaus starke Engagement und die persönliche Überzeugung eines jeden Mitarbeiters bei der Arbeit wahr.
Trotz der vielen Termine und Treffen hatten wir genug Freiraum, um uns selbst zu beschäftigen und Beirut und dessen versteckte Ecken zu erkunden. Ebenso fanden innerhalb der Gruppe des Öfteren Unternehmungen statt, wie Tagesausflüge nach Saida und Byblos, gemeinsame Abendessen in Beiruter Lokalen oder das Entdecken des Nachtlebens mit Studenten der Université Saint-Joseph, mit welchen wir Bekanntschaft gemacht hatten.
Was nicht unerwähnt bleiben sollte, ist das breite Spektrum an Kulturveranstaltungen in Beirut. Im Gegensatz zu den meisten arabischen Ländern bietet die Hauptstadt Beirut ihrer Bevölkerung ein großes kulturelles Angebot, was vor allen Dingen Theater, Musik sowie Kunstausstellungen betrifft. Auch wir profitieren davon und fanden schon bald unsere Lieblingskneipe, das „Ta Marbouta“, ein Café, in welchem man neben Kulinarischem, Bilder junger libanesischer Künstler und ein abwechslungsreiches Literaturangebot finden konnte.
Schließlich und endlich empfanden wir die Exkursion nicht nur sehr gut organisiert und durchstrukturiert (hier nochmals ein großes Lob an Karolin und Jens!), sondern sie folgte zudem dem gesetzten Prinzip des CNMS, dass ein „Forschen mit statt über“ sehr viel mehr Effekt mit sich bringt. Denn das wirkliche Verständnis eines Landes, seiner Kultur, Politik und sonstiger Facetten kann nicht durch die bloße Lektüre darüber erfolgen. Erst die direkte Auseinandersetzung oder vielmehr der Dialog mit Betroffenen ermöglicht die Entwicklung eines gewissen Grades an Verständnis gegenüber dem jeweiligen Sachverhalt und vor allen Dingen, und womöglich viel wichtiger, der kritischen Befassung damit.
Autoin: Julia Stegerer (4. Semester, B.A. Orientwissenschaft)