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Politik, Gesellschaft und Kultur in der Türkei

Foto: Jenny Misterek

Exkursion des Master-Studiengangs “Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens“ des CNMS nach Istanbul und Sakarya

Eine Gruppe Master-Studierender des CNMS reiste vom 7. bis zum 12. Oktober 2012 in die Türkei, um an der dreitägigen „Middle East Conference – Politics and Society“ der Universität von Sakarya teilzunehmen. Daneben blieb aber noch genug Zeit, um Istanbul und die Türkei besser kennen zu lernen.  Die Idee zu dieser Exkursion kam aus dem Kreis der Studierenden und wurde von dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Fachgebiets Politik, Julius Dihstelhoff, begeistert aufgenommen und umgesetzt. Im Detail beinhaltete die Idee, dass auf der Grundlage von universitären Seminarinhalten und Prüfungsleistungen, Präsentationen auf internationaler Bühne erprobt werden sollten.

Sonntagmittag, East West Hotel, Istanbul. Hätte man ein wenig Zeit, wäre es bestimmt unterhaltsam, sich gemütlich vor das Hotel zu setzen und den jungen Leuten aus Marburg zuzuschauen, die mit einem Stück Papier und einem Stadtplan in der einen und einem Koffer in der anderen Hand in Zweier- und Dreiergruppen am Hotel vorbeiziehen, erst in die eine, dann in die andere Richtung, und verzweifelt nach dem Eingang suchen. Denn es gibt keinen Eingang, zumindest kein Eingangsschild, und wenn der nette Portier nicht dann und wann aus seinem Fenster geblickt hätte, so manches Mitglied unserer Reisegruppe stünde wohl immer noch verwundert in dieser Seitenstraße der pulsierenden Einkaufsmeile Istiklal.

Allein, wir haben keine Zeit. Es gilt, Istanbul zu erkunden, so viel wie möglich, denn es gibt einiges zu entdecken – Cafés, Restaurants, Straßenhändler, das Meer, … Im Nu hat die Millionenstadt uns in ihren Bann gezogen und wir treiben durch die Gassen und Straßen und verlaufen uns und finden uns wieder und ziehen weiter und bleiben stehen und kommen erst abends wieder zum Hostel zurück, wenn die erste Besprechung der Exkursion ansteht.

Neun Studentinnen, vier Studenten sowie zwei wissenschaftliche Mitarbeiter des Fachgebiets Politik des Nahen und Mittleren Ostens, Karolin Sengebusch und Julius Dihstelhoff als Exkursionsleitung, sitzen dann zusammen, und wir machen dem Namen des Hotels alle Ehre – aus allen Himmelsrichtungen sind wir angereist, aus dem Auslandssemester in England, Israel, dem Libanon, und manche auch aus Deutschland. Wir besprechen die Formalia, klären Termine ab und offene Fragen, und dann schwärmen wir auch schon wieder aus ins Istanbuler Nachtleben.

Am nächsten Vormittag um elf dann der erste offizielle Termin: Die Hrant Dink Stiftung hat uns eingeladen. Die freundliche Mitarbeiterin Burcu Becermen klärt uns über die Ziele und die Arbeit der Stiftung auf: Die Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei, insbesondere mit Bezug auf die sogenannten „Minderheiten“, auch wenn sie versucht, das Wort zu vermeiden: Armenier, Griechen, Kurden… Ein Projekt interessiert uns besonders: „ Hate Speech“, mit dem die Stiftung versucht, verunglimpfende Sprache in den Medien offenzulegen und zu dokumentieren. Fast zwei Stunden lang sitzen wir mit Frau Becermen auf der Terrasse der Stiftung und diskutieren.

Nach einem hastigen Mittagessen treffen wir uns am frühen Nachmittag beim Goethe-Institut wieder, wo trotz eines vollen Terminkalenders dankenswerterweise gleich vier Mitarbeitende Zeit für uns gefunden haben: die Institutsleiterin Claudia Hahn-Raabe, der Leiter der Sprachenabteilung Wolf von Siebert, die Bibliotheksleiterin Eva Hackenberg sowie die Expertin für Unterricht Christiane Heeb. Bei fürstlicher Bewirtung mit Kaffee und Kuchen erzählen unsere Gastgeber von den Zielen des Goethe-Instituts, der veränderten Wahrnehmung Deutschlands mit dem Wandel in der türkischen Europa-Politik, den für eine Aufenthaltsgenehmigung obligatorischen Deutschtests, dem Interesse der Türken an der Bundesrepublik und den unterschiedlichen Rahmenbedingungen, mit denen das Institut in den verschiedenen Landesteilen der Türkei zu tun hat. Den restlichen Nachmittag nutzen wir für private Unternehmungen, bevor wir dann abends zum gemeinsamen Fisch-Essen an der Galata-Brücke aufbrechen.

Am nächsten Morgen gilt es dann: Auf nach Sakarya! Um sieben Uhr früh vor dem Hotel geht es los. Ein Bus will erreicht werden, der einen Bus erreichen muss, damit wir die Konferenz möglichst pünktlich zum ersten Panel erreichen. Verschlafen stapfen wir die lange Istiklal bis zum Taksim-Platz und der Bushaltestelle entlang. Leider ist der Bus eine halbe Stunde zu spät, aber dann läuft alles wie am Schnürchen. Auf zum Busbahnhof und direkt weiter auf die ca. zweistündige Fahrt nach Sakarya.

Auf dem Universitätsgelände – etwa eine halbe Stunde außerhalb von Sakarya mit einer herrlichen Aussicht auf den Sapanca-See – begrüßt uns die Kongressleitung sehr herzlich. Überraschenderweise stellt man uns nicht die erwarteten rustikalen Studentenwohnheimzimmer zur Verfügung, wir sind nur zehn Gehminuten vom Kongresszentrum in geradezu luxuriösen Räumen untergebracht und können so pünktlich an der ersten Session teilnehmen. Und damit beginnt die Qual der Wahl: Mehr als 30 Panels in drei Tagen mit mehr als einhundert Vorträgen zu Wirtschaft, Politik und Medien und Vortragenden aus allen Kontinenten. Unter den Vortragenden sind Größen wie Norman Finkelstein und Udo Steinbach, aber auch Vertreter aus der Politik vertreten. Welches Panel, wann und wo oder vielleicht doch einmal eine Stunde in der Sonne sitzen? Zwischen den Veranstaltungen haben wir bei einem schwarzen Tee und Keksen die Gelegenheit, mit den Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen und Kontakte zu knüpfen.

Ein ganz besonderes Highlight sind natürlich die Vorträge unserer eigenen Marburger Delegation. Fünf Vorträge in fünf verschiedenen Panels, glücklicherweise ohne Überschneidungen.

Jenny Misterek macht dabei gleich am ersten Tag den Anfang mit ihrem Vortrag über Hindernisse für den Frieden im Israel-Palästina Konflikt. Dabei hat sie die Gelegenheit, ihre Thematik mit Norman Finkelstein zu diskutieren, der ebenfalls Teil ihres Panels ist.

Die Latte liegt hoch, doch auch die Präsentationen unserer anderen Vortragenden können sicherlich mit zu den besten der Konferenz gezählt werden. Am zweiten Tag begeistert Nurettin Yigit mit seinem souveränen Vortrag zu 'Security and Economic Policy in Focus at EU-GCC Partnership', welcher thematisch die neuen Machtverhältnisse des GCC in Abgrenzung zu den USA und in Kooperation mit der EU aufgreift.

Wir beenden den Tag, gemeinsam mit einigen anderen Konferenzteilnehmern, in einer hübschen Shishabar in Sakarya. Auch die mehr als rasante Busfahrt zurück wird einigen von uns noch lange in Erinnerung bleiben…

Am dritten und letzten Tag dann: drei Sessions, drei Vorträge. Den Anfang macht Christian Ebert mit seinem Vortrag zu 'Sino-Iranian Energy Relations - „The Dragons's Tightrope Act“', der ihm zahlreiche positive Rückmeldungen einbringt. Aber auch Melanie Rohrer und Heidi Reichinneks Vortrag nach der Mittagspause zu 'The Deeper Roots of „Revolution“: Socioeconomic Processes of Deligitimation in Egypt' ist hervorragend.

Den Abschluss bilden Amina Nolte, Ansar Jasim und Schluwa Sama, deren außergewöhnlicher Vortrag in das leider unterbesuchte Panel zum Thema 'Other Awakenings' fiel. Die drei beschäftigen sich mit der Frage 'Imagening the Pearl-Roundabout in Bahrain as a Social Space?' und werfen damit äußerst interessante Fragen auf. Wir hoffen, dass sie die Gelegenheit haben und das Thema weiter verfolgen werden.

Damit enden für uns drei Tage voller spannender Vorträge und neuer Erfahrungen. In einem überfüllten Minibus geht es zurück zum Busbahnhof von Sakarya und dann nach Istanbul. Dort lassen wir den Abend in einer gemütlichen Runde ausklingen. Bereits früh am nächsten Morgen machen sich dann die ersten von uns wieder auf die Reise. Andere bleiben noch ein paar Tage, bestaunen die Blaue Moschee, den Basar, die Hagia Sofia und erleben sogar die Heimniederlage der türkischen Nationalmannschaft gegen Rumänien live im Atatürk-Stadion.

Eine rundum gelungene Exkursion geht so nach und nach zu Ende. Die wichtigste Erkenntnis ist mit Sicherheit, dass wir auf internationaler wissenschaftlicher Ebene durchaus konkurrenzfähig sind. Schön war auch, wie die Gruppe im Lauf der Woche immer weiter zusammenwuchs. Wir hoffen daher, dass diese oder ähnliche Unternehmungen in Zukunft fest im Lehrplan verankert werden können, etwa im Rahmen eines vorbereitenden Seminars. Denn es ist eine tolle Erfahrung, das eigene wissenschaftliche und regionale Wissen unter Praxisbedingungen zu erproben und zu vertiefen.

Unser besonderer Dank gilt zunächst dem CNMS für die finanzielle Unterstützung, sowie Julius Dihstelhoff für die Organisation und die Vorbereitung. Er sowie Karolin Sengebusch haben uns in den Tagen in der Türkei kompetent und kollegial begleitet und uns bei der Vorbereitung unserer Vorträge fachlich sehr gut unterstützt. Einen außerordentlichen Dank verdient unser Kommilitone Nurettin Yigit, der uns mit seinen Istanbul-Kenntnissen sicher und zuverlässig durch die Stadt lotste, jede noch so nebensächliche Frage geduldig beantwortete und als Simultanübersetzer einige Stolpersteine aus dem Weg räumte. Aber auch die anderen Mitreisenden haben ihren Beitrag geleistet, sei es mit den durchweg sehr guten Vorträgen in Sakarya oder indem sie das kulturelle Programm in Istanbul organisierten. Daher ein herzlicher Dank an alle Beteiligten!

 Autor*innen: Johanna Faulstich und Bodo Straub (Studierende des M.A. Politik und Wirtschaft des NMO)

Ansprechpersonen: Julius Dihstelhoff und Karolin Sengebusch