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Anatolius Arabicus - Die arabische Rezeption griechischer Fachliteratur am Beispiel der Landwirtschaft
Bearbeiter: Carlo Scardino (Habilitationsprojekt)
Sowohl in der Antike als auch im Mittelalter spielte die Landwirtschaft als einer der bedeutendsten
wirtschaftlichen Faktoren im Selbstverständnis dieser vorindustriellen Gesellschaften und ihrer Eliten eine
wichtige Rolle. Neben der literarischen Beschäftigung durch Autoren wie Hesiod und Vergil gab es in
Griechenland und in Rom berühmte landwirtschaftliche Fachschriftsteller wie Cato, Varro oder Columella. Im
Gegensatz zur römischen Tradition sind von der griechischen nur die Geoponika, eine sehr späte byzantinische
Kompilation aus dem 10. Jh., zu uns gekommen. Diese fußte zu einem beträchtlichen Teil auf der ‚Sammlung
der landwirtschaftlichen Tätigkeiten‘ in 14 Büchern des Vindanionios Anatolios aus Berytos (4. Jh. n. Chr.).
Dieses Grundlagenwerk ist auf griechisch mit Ausnahme ganz weniger Fragmente verlorengegangen.
Neben einer unvollständigen auf einer schlechten Handschrift beruhenden syrischen und einer gekürzten
armenischen Version ist Anatolius’ Werk am besten und vollständigsten in einer bisher noch kaum untersuchten
und nicht herausgegebenen arabischen Handschrift in Mašhad und einer modernen Kopie in Teheran erhalten
geblieben (Mašhad Riḍā 5762 bzw. MS Teheran Milli 796). Die arabische Version kann am besten dazu
beitragen, den griechischen Anatolius zu rekonstruieren und den Altertumswissenschaftlern wieder zugänglich
zu machen, und verspricht dazu neue Erkenntnisse bezüglich der vexata quaestio der Genese der Geoponika.
Diese arabische Übersetzung von Anatolius’ Werk spielte bei der Übernahme landwirtschaftlichen Wissens
durch die Araber eine zentrale Rolle und beeinflusste die landwirtschaftliche Literatur im Osten und im Westen
der islamischen Welt, besonders auch in Andalusien, wo diese ihren Höhepunkt erreicht und ihrerseits wieder auf den Okzident zurückgewirkt hat. Zitate aus seinem Werk findet man etwa im monumentalen Werk des Ibn al-
ʿAuwām; deutliche Spuren des Anatolius gibt es aber auch in der aus Mesopotamien stammenden Filāḥa an-
Nabaṭiyya.
Das Ziel dieses Habilitationsvorhabens, das im Rahmen des gemeinsamen Forschungs- und Lehrprojekts
zwischen dem CNMS und dem Seminar für Klassische Philologie „Die griechische Wissenskultur als Brücke
zwischen Orient und Okzident“ von Prof. A. Schmitt und Prof. S. Weninger betreut wird, ist einerseits die
kritische Edition des arabischen Textes mit einer deutschen Übersetzung und einem philologischen Kommentar.
Andererseits soll eine einleitende Studie dazu dienen, neben seiner kulturgeschichtlichen Verortung Anatolius
Arabicus mit der übrigen griechisch-römischen landwirtschaftlichen Tradition zu vergleichen, seine Rezeption in
der mittelalterlichen arabischen Literatur zu dokumentieren und besonders auch auf Fragen zur
Übersetzungstechnik vom Griechischen ins Arabische, über die es im Bereich der Landwirtschaft und der
Botanik noch keine Arbeiten gibt, einzugehen.
Carlo Scardino habilitierte nach Abschluss des Projekts 2012 im Fach Klassische Philologie.