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Empfehlung der Gleichstellungskommission des Fachbereichs Rechtswissenschaften zu diskriminierungssensibler Sprache

Stand: November 2023. Offizielle PDF-Datei mit Zusatzinformationen und Nachweisen.

1. Zielsetzung

Lehre diversitäts- und diskriminierungssensibel zu gestalten, zählt zu den erklärten Zielen der Philipps-Universität Marburg und des Fachbereichs Rechtswissenschaften.

Diese Empfehlung soll erläutern, wie Lehrpersonen insbesondere bei der Stellung von Sachverhalten durch den bewussten Einsatz von Sprache einen respektvollen und wertschätzenden Umgang untereinander sowie mit den Studierenden schaffen und fördern können. Hierzu werden neben einer Sensibilisierung für die Thematik konkrete Umsetzungs- und Anwendungsmöglichkeiten aufgezeigt.

Fragen oder Anmerkungen jeglicher Art werden jederzeit gern unter  entgegengenommen.

2. Wie Sprache diskriminiert

Stereotype Darstellungen in Sachverhalten sind im Studium der Rechtswissenschaften immer noch Alltag. Detailliertere Beschreibungen von Personen sowie die Darstellung ihrer Beziehungen zueinander, ihres Aussehens oder sozialen Hintergrunds gestalten einen Sachverhalt spannender und ansprechender, bergen aber auch Risiken. Daher sollte stets geprüft werden, ob eine Zuschreibung für die Falllösung notwendig ist, und – falls ja –, ob sie Elemente enthält, die stigmatisierend und diskriminierend wirken können.

Diskriminierungen können in unterschiedlichen Ausgestaltungen und Graden auftreten: von einer Kategorisierung (= Zuweisung zu einer Gruppe anhand eines bestimmten Merkmals) über eine Stereotypisierung (= gesellschaftlich verbreitete Vorstellung über die Eigenschaften einer Person aufgrund ihrer Zuweisung zu einer Gruppen) bis hin zum Vorurteil (= allgemein negative Bewertung der Mitglieder einer Gruppe aufgrund der ihnen stereotyp zugeschriebenen Eigenschaften) gibt es zahlreiche Einfallstore für (unbewusste) Diskriminierungen.

Beispiele diskriminierender Formulierungen

Beispiel 1: „A ist Mitglied in einem arabischen Clan, welcher regelmäßig Raubüberfälle begeht. Auch heute will er sich wieder mit seinen Cousins B und C zu einem Überfall verabreden.”

Die Kategorisierung „arabischer Clan“, in dem – stereotyp gedacht – ausschließlich (männliche) Familienangehörige zusammenwirken, wird hier mit einem negativen, kriminellen Verhalten verknüpft und so mit einem Vorurteil behaftet. Diese Merkmale können leicht weggelassen oder ausgetauscht werden.

Stattdessen: „A ist Mitglied in einer Gruppe, welche regelmäßig Raubüberfälle begeht. Auch heute will er sich wieder mit den Gruppenmitgliedern B und C zum Überfall verabreden.“

Beispiel 2: „M will seine Ehefrau F mit der Sanierung der Küche überraschen. Er verkauft deshalb die komplette Küche ohne Wissen seiner Frau an B und übereignet sofort.”

Hier wird ein heteronormatives Geschlechterverhältnis mit stereotypen Rollenbildern dargestellt und reproduziert: Während die Ehefrau in der Küche tätig ist, verfügt der Ehemann über das (gemeinsame) Inventar. Auch hier lassen sich die Anknüpfungspunkte gut variieren.

Stattdessen: „F verkauft und übereignet den Fernseher ohne Wissen ihres Mannes M.“

3. Mögliche Folgen von Diskriminierungen

Eine repräsentative Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt, dass sich
empfundene Diskriminierungen auf die Betroffenen beispielsweise in Form von depressiven Symptomen, Angst- sowie Stressreaktionen auswirken können. Die Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen steht in einem konkreten und unmittelbaren Zusammenhang mit einem verminderten psychischen Wohlbefinden der Betroffenen. In einer Befragung im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Jahr 2017 konnte festgestellt werden, dass für 47 % der Befragten bereits die Erinnerung an eine Diskriminierungssituation psychisch belastend wirkt. Daraus lässt sich schließen, dass die Reproduktion von Diskriminierungen und Stereotypen in Sachverhalten für Betroffene eine Hürde bei der Bearbeitung einer Klausur darstellt. Die hiermit verbundene zusätzliche psychische Belastung führt dazu, dass sie schlechtere Voraussetzungen für die ungestörte Klausurbearbeitung haben und so auch mittelbare Diskriminierung erfahren.

Nach Angaben der Betroffenen gehen nur 40 % aktiv gegen Diskriminierung vor; in der konkreten Situation selbst setzten sich lediglich 18,2 % der Betroffenen zur Wehr. Die Beschwerde durch die Betroffenen darf aber nicht zur Voraussetzung für die Anerkennung und Bekämpfung von Diskriminierungen gemacht werden. Vielmehr sollte es allen Beteiligten – auch und gerade im hierarchisch geprägten Hochschulkontext – ein Anliegen sein, Belastungssituationen proaktiv durch diskriminierungssensibles Verhalten zu vermeiden. Diese Empfehlung will erste Anregungen geben, wie dieses Ziel in der Hochschullehre realisiert werden kann.

4. Checkliste für eine diskriminierungsfreie Lehre

Lehrende und Sachverhaltsstellende können durch die inhaltliche Überprüfung der Lehr- und Prüfungsmaterialien und bewusste Nutzung von Sprache zu einer diskriminierungssensiblen und wertschätzenden Lehre beitragen. Hierzu empfiehlt es sich, vor Veröffentlichung eines Sachverhalts folgende Fragen zu beleuchten:

  • 1. Welche Merkmale werden Personen im Sachverhalt zugeschrieben?

    Alter, Geschlecht, Herkunft, Aussehen, Religion und Weltanschauung, Behinderung und Beeinträchtigung, sexuelle Orientierung und Identität, Beziehung zu anderen Personen, Beruf und sozio-ökonomischer Hintergrund

  • 2. Wie handeln oder verhalten sich Personen mit diesen Zuschreibungen?

    Wie werden Personen beschrieben, die sich rechtskonform verhalten, und solche, die es nicht tun? Welche Personen sind eher Opfer, welche eher Täter*in? Wer hat welche bzw. mehr Ansprüche und Rechte, welche Personen befinden sich in einer schwächeren Rechtsposition?

  • 3. Ist die Zuschreibung für die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen notwendig?

    Diese Frage soll betonen, dass oftmals grundsätzlich jeder Sachverhalt ohne die Nutzung von Zuschreibungen gestellt werden kann. Sie können zwar helfen, einen Sachverhalt lebhaft und attraktiv zu gestalten, sollten jedoch nicht auf Kosten einzelner Personen und Personengruppen erfolgen. Im Zweifelsfall oder bei Unsicherheiten sollten potenziell problematische Zuschreibungen weggelassen werden.

  • 4. Bonus: Kann ich meinen Sachverhalt inklusiver gestalten?

    Über den Abbau bestehender Diskriminierung hinaus können Sprache und Sachverhaltsvariationen auch genutzt werden, Lehre inklusiver zu gestalten. Dazu kann beispielsweise geprüft werden, ob Männer und Frauen in Fallbeispielen gleichermaßen vertreten sind oder Personen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen repräsentiert werden, ohne dass dies Auswirkung auf die Rolle der Person und die Fallprüfung hat.

    Durch die bewusste Darstellung unterrepräsentierter Merkmale kann Diversität abgebildet und Inklusion bewirkt werden. Insofern gilt es, ein Gleichgewicht herzustellen durch das Aussparen (abwertender) stereotyper Zuschreibungen einerseits und der zielgesetzten (wertfreien) Abbildung, Förderung und Neubesetzung diskriminierungsanfälliger Zuschreibungsmerkmale andererseits. Ein Mittel hierbei könnte sein, gängige Stereotype bewusst umzukehren.

    So kann beispielsweise anstelle der „Hausfrau und Mutter“ der Vater ohne Erwerb für die Kinderbetreuung und Haushaltsführung zuständig sein, während die Frau als Managerin arbeitet, oder statt eines heteronormativen Paares Personen in einem diversen Kontext, etwa ein gleichgeschlechtliches Paar, auftreten.

5. Geschlechtergerechte Sprache

Neben einer Sensibilisierung für potenzielle Diskriminierung möchte diese Empfehlung auch auf die Auswirkung und Bedeutung von geschlechtergerechter Sprache hinweisen.

Die Nutzung des sog. generischen Maskulinums bildet die Realität nicht nur unzureichend ab, sondern kann Auswirkungen auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung nicht-männlicher Personen haben. Studien zeigen anschaulich, dass die Verwendung allein männlicher Bezeichnungen („Arzt“, „Lehrer“) bereits Kinder in der Vorstellung späterer eigener Berufsmöglichkeiten beeinflusst. Bei weiblichen und nicht-binären Studierenden kann es zudem zu einer Beeinträchtigung des Selbstvertrauens kommen. Es wurde durch mehrere Studien nachgewiesen, dass sie bei Formulierungen wie „Richter“ und „Anwälte“ nicht mitgedacht werden.

Aktuellen Untersuchungen zufolge hat die Verwendung gendergerechter Sprache keinen nachweisbaren Einfluss auf die Verständlichkeit eines Textes. Dies gilt umso mehr, als nicht „gegendert“ werden muss, um inklusiv zu formulieren.

Folgende Möglichkeiten und sprachliche Variationen bestehen:

Diese Empfehlung beruht auf einer Zusammenarbeit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, der Gleichstellungskommission sowie den Vertreterinnen des Alix-Westerkamp-Mentoring-Programms des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg.