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Sammlungen

Mithilfe von Material-Sammlungen lassen sich nicht nur frühere Denkweisen und Lebensgestaltungen, die subjektive Konstruktion von Biographien oder Aushandlungen von historischen Prozessen ablesen, auch sind sie für gegenwartsbezogene Fragestellungen gemäß der Schwerpunkte des Instituts anschlussfähig.

Das Marburger Archiv hat eine bewegte Geschichte. Die Genese seines Bestands ist bei jeder Beschäftigung zu bedenken: Die aus Sammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts transkribierten Belege spiegeln die Archivrichtlinien, Methodologie und Forschungsansätze der Volkskunde im Verlauf ihrer Fachgeschichte wieder. Der Index wurde nicht verändert, da er kontextualisierbar bleiben muss, was das Beibehalten aus heutiger Sicht zu kritisierender Bezeichnungen und Einschätzungen begründet.

Umfangreichster Teilbestand ist das Zentralarchiv der deutschen Volkserzählung, in dem Forschungsansätze der Folkloristik als vergleichender Betrachtung oraler Traditionen deutlich werden, die in den 1930er Jahren in dem allgemeinen Wunsch nach nationalen Archiven mündeten. Aufgebaut wurde es ab 1936 in Berlin von dem Erzählforscher Gottfried Henßen. Näheres zur Sammlungsgeschichte können Sie der Seite zum Bestandsverzeichnis entnehmen.

Integriert wurden zudem Teile der Sammlungen der 1899 in Gießen gegründeten hessischen Vereinigung für Volkskunde (HVV), die ein frühes Organ methodisch-theoretischer Grundsatzdiskussion war. Der Altphilologe, Mitherausgeber der Hessischen Blätter und Bibliotheksdirektor an der Universität Gießen Hugo Hepding (1878-1959) gab, als im Nationalsozialismus die Einflussnahme der NSDAP zunahm und ihm Venia und Funktion entzogen wurden, den Vorsitz der HVV und Teile der Sammlungen ins damals zur preußischen Provinz Hessen-Kassel gehörende Marburg. Hier wurde das Fach am Kurhessischen Landesamt für Volkskunde durch Bernhard Martin vertreten. 1945 aufgrund seiner Nähe zur NSDAP aufgelöst, wurde das Fach an der Universität Marburg wieder ab 1951 durch Gottfried Henßen vertreten, der nun als Honorarprofessor das Archiv für Volkskunde begründete, in das er die Bestände des Zentralarchivs der deutschen Volkserzählung integrierte.

Gerhard Heilfurth (1909-2006) wurde 1959 auf den Lehrstuhl für Volkskunde berufen und gründete 1960 das Institut für mitteleuropäische Volksforschung. Mit ihm erhielt das Fach eine sozialwissenschaftlich-kulturanthropologisch fundierte und international orientierte Perspektive. Einen weiteren großen Beitrag zur Sammlung lieferte Ingeborg Weber-Kellermann (1918-1993) mit ihrem gesellschaftswissenschaftlichen Fokus auf Arbeit, Familie und Volksleben. Sie war wesentliche Gestalterin einer Modernisierung des Instituts während der Reformzeit 1970-1974, vertiefte die sozialwissenschaftliche Orientierung des Faches und überführte das Institut aus der Philosophischen Fakultät in den neugegründeten Fachbereich Gesellschaftswissenschaften.

Das Material der Dokumentationsstelle Hessen (DokHessen), gegründet in den 1980er Jahren, besteht im Kern aus einem Zeitungsarchiv, das vor allem die alltagskulturelle Situation und Entwicklung im Bundesland Hessen und speziell in der Marburger Region dokumentieren soll. In 175 Ordnern sind ca. 35.000 Einzelbelege nach über 500 Stichwörtern archiviert. Außer dem Zeitungsarchiv beherbergt die DokHessen noch ein Archiv Grauer Literatur zum Festwesen in Hessen (vor allem Programme, Prospekte usw. zu Ortsjubiläen).

Die Sammlungsbestände des Instituts für Empirische Kulturwissenschaft können über Siegfried Becker eingesehen werden. Die Kalendersammlung des Verlegers und Regionalhistorikers Hans Huber wird heute ebenso wie die Bibliothek des Philologen und Folkloristen Johannes Bolte (1858-1937) in der Universitätsbibliothek Marburg verwahrt und kann dort genutzt werden.

Franziska Peikert, Siegfried Becker

Literaturhinweis:
Siegfried Becker: Archivbestände zur volkskundlichen Regionalforschung in Hessen am Institut für Europäische Ethnologie und Kulturforschung der Philipps-Universität Marburg. In: Michael Simon (Hg.): Volkskundliche Arbeit in der Region. Ein Wegweiser zu den "Landesstellen" im deutschsprachigen Raum (=DGV-Informationen, Beihefte, 6; Volkskunde in Sachsen, 5/6) Dresden 1999, S. 101-111.