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Reformation als Evolution von Religion? Evolutionstheoretische Überlegungen zu religiösen Transformationsprozessen am Beispiel des Protestantismus
Prof. Dr. Sebastian Schüler (Leipzig)
Zum letzten Mal im Sommersemester 2017 öffneten sich die Tore des Fachgebietes Religionswissenschaft für zahlreiche Interessierte, die einem neuen Vortrag aus der Reihe „Religion am Mittwoch“ lauschen wollten. Der Referent war diesmal JProf. Dr. Sebastian Schüler aus Leipzig und sein Thema lautete „Reformation als Evolution von Religion? Evolutionstheoretische Überlegungen zu religiösen Transformationsprozessen am Beispiel des Protestantismus“. Zuvor wurde das Publikum thematisch eingestimmt durch Konstanze Runge, die anhand von drei tibetischen Gebetsmühlen materielle Beispiele für religiösen Wandel demonstrierte.
Prof. Schüler erläuterte zunächst die Grundlagen der Evolutionstheorie, die u.a. durch Charles Darwin hervorgebracht wurde. Evolution findet demnach dann statt, wenn innerhalb einer Population Mutationen stattfinden und durch Selektionsdruck nur die Typen weiterbestehen, die die beste Anpassung an die Umwelt aufweisen. Prof. Schüler betonte, dass Evolution nicht auf ein höheres Ziel zulaufe und demnach nicht mit Fortschritt gleichzusetzen ist – eine Missinterpretation, die sich beispielsweise in der Religionstheorie Tylors zeigte. Tylor übertrug das Prinzip der Evolution auf Religionen und postulierte, dass die Menschheit eine „religiöse Evolution“ vom primitiven Animismus über den Polytheismus hin zum am höchsten stehenden Monotheismus durchlaufen würde. Diese Sicht wurde vielfach als ethnozentrisch kritisiert und verworfen. Dennoch lohne sich die Übertragung des naturwissenschaftlichen Evolutionsprinzips auf die Kulturwissenschaften. Dementsprechend könne man „religiöse Mutationen“ beobachten, die unter kulturellen Selektionsdruck geraten und überleben, sofern sie eine bessere Anpassung an die gesellschaftliche Umwelt aufweisen.
Als Beispiel verwies der Vortragende auf Martin Luther, der nur einer von vielen Reformatoren war, sich aber als der erfolgreichste erwiesen hat. Die Faktoren, die zu einer besseren Umweltanpassung der „Mutation“ der lutherischen Theologie führten, waren u.a. die Anschlussfähigkeit an das anthropozentrische Weltbild der Renaissance, die Nutzung des Buchdrucks, die Verfassung deutscher Texte und die Verknüpfung von Religion und Politik. Abschließend betonte Herr Schüler, dass religiöse Mutationen nicht zwingend auch religiösen Wandel auslösen müssten. So könnten neue religiöse Bewegungen häufig nur kurzzeitig oder in kulturellen Nischen überleben. Nur selten sei durch eine höhere Anpassung an kulturelle Bedürfnisse eine dauerhafte, weitläufige Etablierung zu Beobachten, wie beispielsweise im Fall des pfingstlerischen Christentums.
In seinem Fazit wurde deutlich, dass die Übertragung naturwissenschaftlicher Konzepte auf kulturelle Phänomene oftmals problematisch ist, jedoch auch zu neuen Perspektiven führen kann.
Paulina Rinne und Alisha Meininghaus