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Regenwaldzerstörung in Regionen peripherer Staatlichkeit: Umweltbeziehungen, Machtkonfigurationen und Handlungsstrategien lokaler Akteure in Amazonien
Forschungsregion
Im Fokus steht der Westen des Amazonasbundeslandes Pará, am Tapajós/Unteren Amazonas (Siehe Grafik links). Es handelt sich um eine ressourcenreiche Region (Wasserwege, Fischbestände, Tropenwaldbestand, Biodiversität, Vorkommen von Bodenschätzen), die seit den letzten 20 Jahren verstärkt Pressionen ausgesetzt ist.
Zur Verbesserung der Verkehrsanbindung wurde in den 1970er Jahre die Bundesstraße BR-163 gebaut, die den Bundesstaat Mato Grosso mit der Kreisstadt Santarém und deren Überseehafen verbindet. Wichtig ist diese Verkehrsinfrastruktur insofern, als dass die Sojaproduktion Mato Grossos über den Hafen von Santarém nach Europa verschifft werden kann.[1] Die BR-163 hat die Region nachhaltig verändert. So sind die Gebiete im Einzugsgebiet der BR-163 im Umkreis von 150 km zu Santarém (planalto santareno und die Pufferzone der FLONA Tapajós) nicht mehr von Regenwald oder kleinbäuerlichem Anbau geprägt, sondern Sojaplantagen bestimmen das Bild (Siehe Grafik ganz unten). Der Anstieg der Landbevölkerung im Zuge staatlicher Siedlungsprojekte in den 1970ern und dem Bau der Bundesstraße sowie die spätere Ausbreitung mechanisierter Landwirtschaft hat in der Region zu einem starken Rückgang von Regenwald geführt.
Rodungen fanden vor allem in der Hochebene von Santarém sowie entlang der Bundesstraßen statt (Grafik oben). Die Böden der Hochebene sind fruchtbar und daher für landwirtschaftliche Zwecke attraktiv. Die Flächen entlang der Straße wurden insbesondere von Siedler_innen der Kolonisierungs- und Landreformprogramme bewirtschaftet. Unser Forschungsprojekt basiert auf der Annahme, dass in Prozesse zum Schutz und Nutzung von Regenwald in der Untersuchungsregion eine Vielzahl unterschiedlicher strategischer Gruppen involviert ist, die unterschiedliche und teilweise konfligierende Interessen verfolgen. Sie agieren in einem Umfeld, in dem nicht zwangsläufig nationalstaatliche Normen und Reglementierungen wirken, sondern wo sich oft lokale Ordnungen durchgesetzt haben. Diese Situation, so ein erstes Ergebnis des Projekts, ist nur vor dem Hintergrund interregionaler Vernetztheit von Akteuren zu verstehen. Ab den 1970er Jahren wurden Naturschutzgebiete wie die Floresta Nacional do Tapajós (FLONA) (Staatswald) und die Reserva Extrativista Tapajós-Arapiuns (RESEX) (Schutzgebiet für nachhaltige Bewirtschaftung) in der Region eingerichtet. Sie sollen durch nachhaltige Nutzungskonzepte und durch die Förderung traditioneller Sammlerwirtschaft sowie mittels eines Programms zu nachhaltiger Forstwirtschaft den Schutz des Regenwaldes gewährleisten.
Lange war die Nutzung des Amazonasgebiets durch externe Nachfrage nach Ressourcen bestimmt (z.B. Kautschukexport im 19. und 20. Jahrhundert). Heute hat Brasilien jedoch auch starke eigene Nutzungsinteressen und Amazonien ist zu einem strategisch wichtigen nationalem Territorium geworden. Im Zuge von Infrastrukturprogrammen (beispielsweise IIRSA oder PAC1), von Kolonisierungsvorhaben (Umsiedlung ökonomisch schwächerer Bevölkerung in Landreformsiedlungen) sowie im Zusammenhang mit dem Ausbau von Sozial- und Umweltschutzprogrammen (SNUC2) findet eine Erschließung der Region durch den brasilianischen Staat und nichtstaatliche Interessengruppen statt. Die im Projekt gewonnenen Daten zu lokalspezifischen Ordnungen und Praktiken, wie auch zu lokaler Wirksamkeit staatlicher Politiken können nur vor diesem Hintergrund sinnvoll interpretiert werden.
Ziele und Fragestellungen
Die Forschung trägt zu einem differenzierten Verständnis der Zusammenhänge zwischen Schutz- und Aneignungsprozessen von Umweltressourcen und damit verbundenen sozio-ökonomischen Konflikten bei. Ausgangspunkt ist die Analyse beteiligter Akteure und strategischer Gruppen, die lokal die Ressourcen des Regenwalds nutzen bzw. schützen. Ermittelt wird, wer diese Gruppen sind und welche Interessen und Ziele sie verfolgen. Weitere Fragen sind, mittels welcher Strategien sie ihre Ziele um setzen Welche Verbindungen und Kooperationen einerseits und Konfliktlinien andererseits existieren zwischen ihnen?
Für die Landbevölkerung im Westen Parás ist der Zugang zu Land essentiell. Wie sehen Konzepte und Praktiken von Landnutzung auf der einen und Naturschutz auf der anderen Seite aus? Welche Unterschiede gibt es zwischen den Akteursgruppen und zu welchen sozio-ökologischen Konflikten führen sie? Wie bewerten die Akteure mögliche Risiken durch Übernutzung natürlicher Umwelt und welche Handlungen leiten sie daraus ab? Wie gelingt strategischen Gruppen die Aneignung von Territorien - auch im Widerspruch zu geltendem Recht?
Prozesse um Regenwaldnutzung und Schutz finden vor dem Hintergrund von staatlichem Raum- und Bodenrecht statt. Kontrastierend dazu fragen wir nach der lokal wirksamen Bodenordnung. Wie ist die Landvergabe innerhalb und außerhalb der Schutzzonen rechtlich geregelt und wie funktioniert sie in der Alltagspraxis vor Ort? Welche Veränderungen erfuhren und erfahren die Territorien durch die Schaffung von Naturschutzzonen oder durch die Zunahme mechanisierten Sojaanbaus in der Hochebene von Santarém (planalto santareno)? Was bedeutet dies für die lokale Bevölkerung? Welchen Handlungsspielraum hat die lokale Bevölkerung zu Verfügung?
Methodik
In Anlehnung an die Forschungsmethodik der Multi-Sited Ethnography3 wurden im Rahmen zweier mehrmonatiger Forschungsaufenthalte in der Untersuchungsregion (Aveiro, Belterra, Flona Tapjós, Resex Tapajós-Arapiuns, São Jorge, Santarém) empirische Daten mittels strukturierten Interviews, Gruppendiskussionen, teilnehmender Beobachtung und Expertengesprächen erhoben. Gespräche wurden mit lokalen Nichtregierungsorganisationen (NROs) und Gewerkschaften, Regierungsinstitutionen sowie mit Vertretern der Stadtverwaltungen von Belterra und Aveiro geführt. Vor allem aber führten wir Tiefeninterviews mit Bewohner_innen der Region (Mitglieder der sogenannten „traditionellen Bevölkerung“, Kleinbäuer_innen, indigene Bevölkerung, Landreformsiedler_innen, Waldbewohner_innen). Zur Zeit werden die gewonnenen Daten übertragen, transkribiert, systematisiert und ausgewertet. Vorträge auf wissenschaftlichen Kongressen geben erste Auskunft über die gewonnenen Erkenntnisse der Untersuchung.
Ab den 1970er Jahren wurden Naturschutzgebiete wie die Floresta Nacional do Tapajós (FLONA) (Staatswald) und die Reserva Extrativista Tapajós-Arapiuns (RESEX) (Schutzgebiet für nachhaltige Bewirtschaftung) in der Region eingerichtet. Sie sollen durch nachhaltige Nutzungskonzepte und durch die Förderung traditioneller Sammlerwirtschaft sowie mittels eines Programms zu nachhaltiger Forstwirtschaft den Schutz des Regenwaldes gewährleisten.
Unser Forschungsprojekt basiert auf der Annahme, dass in Prozesse zum Schutz und Nutzung von Regenwald in der Untersuchungsregion eine Vielzahl unterschiedlicher strategischer Gruppen involviert ist, die unterschiedliche und teilweise konfligierende Interessen verfolgen. Sie agieren in einem Umfeld, in dem nicht zwangsläufig nationalstaatliche Normen und Reglementierungen wirken, sondern wo sich oft lokale Ordnungen durchgesetzt haben. Diese Situation, so ein erstes Ergebnis des Projekts, ist nur vor dem Hintergrund interregionaler Vernetztheit von Akteuren zu verstehen. Lange war die Nutzung des Amazonasgebiets durch externe Nachfrage nach Ressourcen bestimmt (z.B. Kautschukexport im 19. und 20. Jahrhundert). Heute hat Brasilien jedoch auch starke eigene Nutzungsinteressen und Amazonien ist zu einem strategisch wichtigen nationalem Territorium geworden. Im Zuge von Infrastrukturprogrammen (beispielsweise IIRSA oder PAC1), von Kolonisierungsvorhaben (Umsiedlung ökonomisch schwächerer Bevölkerung in Landreformsiedlungen) sowie im Zusammenhang mit dem Ausbau von Sozial- und Umweltschutzprogrammen (SNUC2) findet eine Erschließung der Region durch den brasilianischen Staat und nichtstaatliche Interessengruppen statt. Die im Projekt gewonnenen Daten zu lokalspezifischen Ordnungen und Praktiken, wie auch zu lokaler Wirksamkeit staatlicher Politiken können nur vor diesem Hintergrund sinnvoll interpretiert werden.
Fußnoten
1 Der durch den US-amerikanischen Lebensmittelkonzern Cargill betriebene Hafen verlädt jährlich 800 000 bis 1 Million Tonnen von Soja und Getreide aus Mato Grosso und Pará (Correa, Vivian; Ramos, Pedro (2010): A precariedade do transporte rodoviário brasileiro para o escoamento da produção de soja do Centro-Oeste: situação e perspectivas. Revista de Economia e Sociologia Rural, 48(2), 447-472).
2 Initiative zu Integration regionaler Infrastruktur in Südamerika (Iniciativa para a Integração da Infraestrutura Regional Sul-Americana – IIRSA); Wirtschaftswachstumsprogramm (Programa de Aceleração do Cresimento – PAC).
3 Nationales System für Naturschutzgebiete (Sistema Nacional de Unidades de Conservação – SNUC).
4 Marcus, George (1995): Ethnography in/of the World System: The Emergence of Multi-Sited Ethnography. Annual Review of Anthropology 24, 95-117.